In San Francisco flattert die Trikolore

US-Flaggen sind in der Bay Area unbeliebt. Es boomt der Protest gegen „den Idioten, den wir als Präsidenten haben“

SAN FRANCISCO taz ■ Die „Straßen von San Francisco“ sind wieder da. Doch nicht mit Karl Malden und Michael Douglas auf Verbrecherjagd – es sind die Gegner des neuen US-Krieges, die seit vergangenem Mittwoch die Hauptrolle in der kalifornischen Stadt übernommen haben. Initiiert von Organisationen wie Direct Action oder International, erhitzen die täglichen Proteste inzwischen die Gemüter an der Westküste. Auch wenn sie längst nicht die Ausmaße der Demonstrationen in New York erreichen, haben die scheinbar spontanen, aber per Handy und Internet koordinierten Straßenblockaden ihr erstes Ziel erreicht: Die im Wesentlichen Bush-treuen Medien kommen an dieser Opposition nicht mehr vorbei.

Eine Mischung aus Studenten, Globalisierungkritikern, Punks, Alt- und Neo-Hippies hindert die Hauptstadt des verblichenen Internet-Hypes am Business as usual. Spätestens um 17 Uhr versammeln sie sich jeden Tag auf San Franciscos Verkehrsader, der Market Street. „Impeach Bush“, „preemptive war = terrorism with a western face“, „carpet bombing is not the answer“, „down with the american military junta“ steht auf den Plakaten, dazwischen flattert provokativ die Trikolore, die französische Nationalfahne. Eine Gruppe, die aus einer Seitenstraße hinzustößt, wird mit begeistertem Johlen empfangen. Über den Hochhäusern kreisen Hubschrauber, und Polizisten drohen selbst Passanten, die die Straße überqueren wollen, sie festzunehmen.

Das sind keine leeren Drohungen: Über 2.300 Demonstranten sind in den vergangenen Tagen festgenommen worden – und nicht wenige für das Verlassen des Bürgersteiges. So viel wie nie zuvor in der an Protesten wahrlich nicht armen Geschichte der Stadt, wie ein Sprecher des Radiosenders Pacifica ärgerlich feststellt. Wer sich über die Abgründe des US-Feldzugs ein Bild machen will, wird dort bestens informiert. Rund um die Uhr liefert Pacifica Interviews mit Wissenschaftlern, Politexperten oder kritischen Militärs, lädt Hörer dazu ein, ihren Protest als Poetry Slams in den Äther zu rappen, und kündigt die aktuellen Demotermine und -orte in der Bay Area an.

Die diskutiert nun heftig, wie viel ziviler Ungehorsam der guten Sache wohl dienlich ist, ob damit nicht gar die Rechte unbescholtener Bürger angetastet würden. Während sich ein Teil der Demonstrantenszene von Sitzblockaden und zertrümmerten Papierkörben distanziert, verteidigen andere das radikale Vorgehen.

„Die USA sind aus zivilem Ungehorsam entstanden“, klärt eine Demonstrantin im Fernsehen einen verständnislos dreinblickenden Reporter auf. Und ihr Begleiter, um die Sache noch klarer zu machen, fügt hinzu: „We're back in the 60s.“

Zurück in den 60ern? Für die einen ein Albtraum, für andere die große Hoffnung. Selbst auf einer wissenschaftlichen Konferenz im Nasa Ames Research Center südlich von San Francisco landet jedes zweite Gespräch beim Krieg und dem „Idioten, den wir jetzt als Präsidenten haben“. Kaum einer, der nicht zumindest Unbehagen äußert. Selbst im drögen Silicon Valley, dass den Charme eines gigantischen Gewerbeparks hat, stößt man an der einen oder anderen Kreuzung auf versprengte Kriegsgegner, die den Autofahrern enthusiastisch ihre Plakate entgegenstrecken. Etwas sei anders als beim Vietnamkrieg, und das stimme ihn optimistisch, sagt Nasa-Mann Don Scott. „Damals dauerte es Jahre, bis der Protest ins Rollen kam. Diesmal haben wir ihn direkt von Beginn des Krieges an.“

Dass die Kriegsgegner sich von der ersten lauten Kritik an ihrer Blockadestrategie nicht unterkriegen lassen, zeigte sich am Wochenende. Während einige tausend ihrer Wut Luft machten, trainierten Protestveteranen auf einer Wiese hinter dem Civic Center in San Francisco Neulinge, wie man sich zusammenkettet oder der Polizei den Abtransport von einer Kreuzung möglichst schwer macht. Auch wenn sich derzeit nicht absehen lässt, ob die Blockaden die Protestbewegung spalten – den Medien haben sie damit ihre Themen aufgedrückt. Ein TV-Sender, der zunächst über die Räumung der Zufahrt zur Bechtel Corporation berichtet hatte, legte später nach und hinterfragte in einem Beitrag die Verbindungen des Dienstleistungskonzerns zur US-Militärindustrie. „Ein lokaler Nachrichtensender hätte die Story nie gebracht, wenn dort vorher nicht Demonstranten gewesen wären“, sagt Patrick Reinsborough von Direct Action.

Als Besucher aus Deutschland erlebt man nicht gekannte Sympathiebekundungen. Die reichen von „Ihr Europäer habt eine bessere Zukunft vor euch“ bis zu dem Satz einer Demonstrantin im Getümmel der Market Street, der einem dann schon fast wieder peinlich ist: „Sagt Schröder, dass wir seine Politik wirklich gut finden.“ NIELS BOEING