Kommerz fürs Herz

Links-ökologische Anmache in neuer Aufmache: Der Frankfurter Buch- und CD-Versand Zweitausendeins hat sein legendäres „Merkheft“ aufgeblasen

von HANS PFITZINGER

„Wenn du die Welt verändern willst, junger Mann, dann musst du das Design verändern!“ Also sprach Buckminster Fuller, und genau das ist jetzt passiert: Nach 35 Jahren, in denen das „Merkheft“ vom Zweitausendeins-Versand immer nahe am Oktavformat lag, kommt es mit der neuen Ausgabe eineinhalb Zentimeter breiter, glatte fünf Zentimeter höher als gewohnt daher und so dick (336 Seiten) wie nie. Nun sollen ja Leute leben, die lesen können und trotzdem diesen Versandkatalog noch nie gesehen haben. Denen sei erklärt: Wenn es je einen Buchversender gab, der in seiner Selbstdarstellung absolut hip daherkam, dann Zweitausendeins in Frankfurt.

Und das Hipste war eben dieses „Das Merkheft“ genannte Verzeichnis aller lieferbaren Bücher und Tonträger. Ein kleiner Katalog, der hohen Lese- und Unterhaltungswert hatte, mit flotten Sprüchen und sorgfältig redigiertem Inhalt, und, verblüffend für die verschlampten Spontis damals, so gut wie keine Tipp- und Druckfehler. Frühe Kennzeichen des Merkheftes waren dünnstes Billigpapier, Schreibmaschinenschrift, unbeholfenes Layout, Linksjargon und kumpelhafte Anmache. Legendär wurde der Brief an den Kunden auf Seite zwei, mit Ort und ohne Datum („Frankfurt am Main, heute“) und die Anrede des Lesers mit „Guten Tag!“. Das war neu und vom Ghostwriter Bertel Schmitt klug und witzig geschrieben. Schmitt arbeitete mit Selbstironie und setzte auf augenzwinkerndes Einverständnis der intellektuell angehauchten Kundschaft.

Die Gründer Lutz Reinecke und sein Partner Walter Treumann hatten ihre Finger am Puls der alternativen Zeiten, und der Laden lief wie mit Hanföl geschmiert (das „Hanfbuch“ von Mathias Bröckers war ebenso ein Bestseller wie jetzt die Verschwörungsbibel desselben Autors zu den Hintergründen der Anschläge vom 11. 9. 2001). Reinecke beherzigte von Anbeginn, dass der aufrechte Linke unter keinen Umständen als tumber Konsument gelten wollte, weshalb es im „Merkheft“ eben so richtig menscheln musste: Kommerz mit Herz. Linkes oder linksliberales Gedankengut hat eine Kundschaft in Deutschland, man kann richtig Kohle damit machen – so die nie formulierte Botschaft von Zweitausendeins. Und Reinecke, der sich nach seiner Heirat Kroth nannte, gliederte dem Versand bald einen eigenen Verlag an und nahm auch vollständige Programme anderer Verlage (erst März, später Rogner & Bernhard) ins „Merkheft“ auf. In jüngster Zeit fand Gerd Haffmans hier Asyl. Doch von Anbeginn ging es auch ums Verramschen – „bei uns nur“ oder „nur noch“ stand vor dem Preis, wenn sich Verlage zum Billigverkauf entschlossen und Kroth mit den Restposten hausieren ging. Das galt auch für die LP- und später die CD-Angebote, die eben auch als Neuerscheinungen immer noch ein bisschen günstiger lagen als im Plattenladen an der Ecke, von unglaublichen Sonderangeboten ganz zu schweigen. Als einmal eine LP von Elton John für eine Mark verhökert wurde, versuchte dessen Plattenfirma den Verkauf zu stoppen.

Die Merkhefte hatten übrigens schon frühzeitig Sammlerwert. Zum zehnjährigen Jubiläum 1978 stellte Kroth fest, dass die Nummern 7 und 11 im Archiv fehlten. Im Heft 37 bot er den Lesern dafür das, „was diese Merkhefte zur Zeit wert sind, nämlich 20 Mark“. Er erhielt 429 Einsendungen. Der 38. Brief endete mit den Worten: „Bitte keine Merkhefte der Nummern 7 und 11 mehr schicken.“

Weshalb gerade jetzt für die Nummer 182 das Format geändert wurde? Vermutlich sind die vielen Beilagen zum eigentlichen Merkheft der Grund. Das Angebot uferte aus, das Kleinformat stieß an seine technischen Grenzen. Mit dem neuen Format steht jetzt alles in einem Heft, und das hat, noch eine Änderung im Design, einen Umschlag aus dickerem Papier. Fast wieder genial ist die Anmache, mit der die neue Aufmache daherkommt: Der ungewohnt üppige Katalog knallt einem dicke Großbuchstaben entgegen. „Wir müssen alle sparen!“, schreit es den Leser an. Und ein Cartoon von Rudi Klein zeigt, wie Kinder sparen lernen durch „Einsparen von Selbstlauten“: „Wr sprn!“, spricht das Kind. „Shr gt!“, sagt der Lehrer.