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: Brauchen wir noch Antikriegsbücher?

Lieber wütend als traurig

Es herrscht Krieg im Irak – und in unserem Garten. Während Bomben auf Bagdad fallen, kämpfen Neunjährige mit ihren selbst geschnitzten Holzmessern, und oben aus dem Kirschbaum knallen Schüsse. Peng, peng!

Krieg spielen, während Krieg herrscht? Für die Kinder in unserem Garten ist die Sache klar: „Das ist doch nur ein Spiel“, sagen sie zu Geballer und Jagdgeheul oder „Wir schießen ja nicht in echt.“ Die Kinder, die ich kenne, würden nie auf die Idee kommen, Winnetou mit Hitler oder Saddam Hussein zu verwechseln.

Dass der echte Krieg schrecklich ist, muss man ihnen nicht erzählen, sie wissen es. Und sie sind auf jeden Fall dagegen. Insofern sind Antikriegsbücher eigentlich überflüssig geworden. Die Fragen, die Kinder stellen, setzen dann auch ganz woanders an: Irak – wo liegt das eigentlich? Und was ist denn ein Diktator? Und der Weltsicherheitsrat? Wer sind Kurden, und was hat die Türkei mit dem Irak zu tun? All das eben, was sie in den Nachrichten hören. Aber erklären Sie das mal einem Kind, das erst schreiben lernt! Oder: Erklären Sie es besser nicht. Man löst mit Siebenjährigen ja auch keine Differenzialgleichungen.

Gute Bücher vom Krieg sind nie ganz einfach zu lesen, denn wenn sie zu sehr vereinfachen, sind sie nicht mehr gut. Ihr Kern ist die Wahrheit, die sie der Lüge und Propaganda entgegenstellen, und diese Wahrheit ist kompliziert – immer. Das mag ein bisschen pathetisch klingen, aber es gilt für das vergleichsweise einfache, herzzerreißende „Tagebuch der Anne Frank“ genauso wie für die komplizierte „Odyssee“ oder Werke, auf denen das Etikett „Roman“ steht. Ob das nun „Im Westen nichts Neues“ ist oder „Der Junge, der seinen Geburtstag vergaß“, das Antikriegsbuch für Jugendliche von Rudolf Frank, das 1931 erschien, kurz darauf von den Nazis verbrannt und vor zwei Jahren bei Beltz & Gelberg wieder neu aufgelegt wurde: Man muss schon den Ersten vom Zweiten Weltkrieg unterscheiden können, um die Menschen, von denen sie erzählen, zu verstehen.

Moderne Klassiker wie Hermann Vinkes „Das kurze Leben der Sophie Scholl“ verbinden deshalb individuelles Schicksal und Zeitgeschichte sehr eng miteinander. Statt allein aufs Mitgefühl setzen sie auf den Verstand. Ihre Arbeitsweise ist genauso dokumentarisch wie literarisch. Doch auch diese Methode kommt an ihre Grenzen, wenn die Kriege immer undurchschaubarer werden. Warum? Wer will diese Frage aller Fragen noch beantworten für die Kriege im Irak, in Palästina oder Ruanda.

Vielleicht müsste man deshalb noch einen Schritt weiter gehen: Wir brauchen nicht neue Geschichten über den Krieg, sondern mehr und besseren Journalismus für Jugendliche. Einen Anfang macht das Buch, das die deutsche Journalistin Sylke Tempel in Jerusalem recherchiert hat: Zwei junge Frauen, die eine jüdisch, die andere Palästinenserin, erzählen in Briefen und Interviews von ihrem sehr unterschiedlichen Leben. Dazu gibt es Karten, ein Glossar und eine Chronologie des Nahostkonflikts.

Das beste Buch in diesem Frühjahr aber erzählt von einem ganz anderen Krieg: dem Krieg der RAF. In der „Lebensgeschichte der Ulrike Marie Meinhof“ entstehen starke Gefühle mal nicht auf Kosten des Differenzierungsvermögen. Im Gegenteil: Das Geheimnis der hochgradigen Emotionalität liegt gerade in der Ambivalenz, die aus der Genauigkeit der Recherche entsteht. Das geht hier von den Schulnoten bis zur Obduktion. Was? Wann? Wie? Warum? Es sind gerade die Fakten, die zu Herzen gehen.

ANGELIKA OHLAND

Amal Rifa’i, Odelia Ainbinder, Sylke Tempel: „Wir wollen beide hier leben. Eine schwierige Freundschaft in Jerusalem“. Rowohlt Berlin, Berlin 2003, 175 Seiten, 14,90 € Alois Prinz: „Lieber wütend als traurig. Die Lebensgeschichte der Ulrike Marie Meinhof“. Beltz & Gelberg, Weinheim 2003, 329 Seiten, 19 €ĽDie üblicherweise am Dienstag erscheinende Seite mit aktuellen literarischen Buchbesprechungen muss heute aus technischen Gründen leiderentfallen