Total toller Frieden

Das Schlagloch von VIOLA ROGGENKAMP

Viel Frustration über Arbeitslosigkeit, abgestürzte Aktien und „Pisa“ geht in Friedensdemos mit ein

Gibt es einen Weg, die Menschen vom Verhängnis des Krieges zu befreien? Albert Einstein an Sigmund Freud am 30. Juli 1932

Viele in Deutschland scheinen etwas von diesem Krieg zu haben, nur Gerhard Schröder nicht. Die Schülerinnen und Schüler schwänzen die Schule, die Kirchen haben wieder Zulauf, die Börse machte kurzfristig Gewinne, und am meisten profitierte die CDU/CSU. Sie ist für den Krieg und wird gewählt von denen, die gegen Amerika sind und auf SPD und Grüne einhauen. Wann immer der SPD-Bundeskanzler sagt, er sei gegen diesen Krieg, wird er in Deutschland als Kriegsgewinnler verdächtigt.

Es scheint, die Mehrheit der deutschen Bevölkerung will, dass Schröder dem US-Präsidenten den Krieg verbietet. Man will, dass der Bundeskanzler den USA untersagt, durch die deutsche Luft zu fliegen, man will Deutschland als Mitglied der Nato vertragsbrüchig sehen, der Kanzler soll es den USA endlich mal zeigen. Das wäre ein Bruch des westlichen Bündnisses und würde den irakischen Diktator unterstützen. Das fände die Friedensbewegung total toll.

Die Freunde des Friedens lauern darauf, dass sich die Türkei in einen Krieg gegen die Kurden stürzt, damit der SPD-Kanzler endgültig als wortbrüchig überführt werden kann. Kommt es überhaupt noch darauf an, ob die Bundeswehrpiloten aus den deutschen Aufklärungsmaschinen genommen werden?

Vielleicht ist Schröder friedlicher als alle anderen, da er jedem ein bisschen Recht gibt. Dank Fischers diplomatischem Geschick ist er der Einzige, mit dem in Europa noch alle sprechen. Er wird auch den Türken ein bisschen Recht geben, und die Friedensbewegten werden Schröder bald so hassen, wie sie Bush hassen. Wem nützt das? Der CDU. Angela Merkel wird Kanzlerin werden, die schlimmste Strafe für den deutschen Feminismus. Und das wegen der Türken und ihrem Krach mit den Kurden?

Die Türken stehen schon seit Jahren im Grenzgebiet zum Nordirak. Ähnlich wie die Palästinenser leben die Kurden über Nachbarländer verteilt, und niemand in der Gegend ist daran interessiert, sie in einem eigenständigen Staat zu sehen. Allerdings gibt es Unterschiede. Zwar haben die arabischen Herrscher weder an einer kurdischen noch an einer palästinensischen Demokratie Interesse, doch die Palästinenser haben immerhin Israel an ihrer Seite. Ja. Vor rund zwei Jahren wollte es sogar Jerusalem mit ihnen teilen.

Wäre das schön, wenn es seit zwei Jahren so wäre. Doch die Palästinenser lehnten ab und schicken seitdem Selbstmordattentäter nach Israel. Was soll man solchen Leuten anbieten? Sie wollen alles, sie sind mit nichts zufrieden. Es sei denn, Israel löste sich völlig auf in einem palästinensischen Staat, den es dann voraussichtlich nicht gäbe, sondern ein um den Gaza-Streifen wieder erweitertes Ägypten, ein breiteres Jordanien, ein verlängertes Syrien. Sollten die Palästinenser ihren Staat haben wollen, werden sie begreifen müssen, dass sie ihn nur bekommen können, wenn Israel ihr unmittelbarer Nachbar bleibt. Israel.

Lieber gar nicht Israel erwähnen. Die Friedensdemonstranten sind schon aufgebracht genug. Wird Israel dieser Krieg nützen? Vielleicht wird er den Palästinensern nützen.

Der Briefwechsel, aus dem das obige Zitat stammt, wurde vor 71 Jahren publiziert, in Deutschland wurde seine Veröffentlichung 1933 verboten. Was die beiden Juden zum Krieg zu sagen hatten, störte die Hitler-Regierung. An einen befreundeten Kollegen schrieb Freud damals, von Psychologie verstehe Einstein „so viel wie ich von Physik, und so haben wir uns sehr gut gesprochen“.

Was aber antwortete der eine geniale Denker dem anderen genialen Denker auf diese uns heute noch beschäftigende Frage? Zunächst antwortete Freud mit einer Gegenfrage: „Warum empören wir uns so sehr gegen den Krieg, Sie und ich und so viele andere, warum nehmen wir ihn nicht hin wie eine andere der vielen peinlichen Notlagen des Lebens? (…) Der Hauptgrund, weshalb wir uns gegen den Krieg empören, ist, dass wir nicht anders können. Wir sind Pazifisten, weil wir es aus organischen Gründen sein müssen.“

Der Mensch ist zu einem feinnervigen, kulturell hoch stehenden Lebewesen geworden und ist seinen Kriegen nicht mehr gewachsen. Das war anders, als noch Keule gegen Keule und Schwert gegen Schwert eingesetzt wurden. Infolge seiner kulturellen Entwicklung hat sich der Mensch hoch entwickelte Kriegsinstrumente geschaffen, welche die Menschheit mehrfach vernichten können. Es ist also nur vernünftig, gegen den Krieg zu argumentieren. Und dennoch sind die Menschen zum Krieg gerüstet und müssen es sein, da auch das Recht „ursprünglich rohe Gewalt war und noch heute der Stützung durch die Gewalt nicht entbehren kann“. So weit Freud an Einstein.

Um nicht weniger geht es auch jetzt. Haben die USA das Recht, vor dem Hintergrund des 11. September Präventivkriege zu führen gegen Staaten, die sich verdächtig machen, Massenvernichtungswaffen an Terroristen weitergeben zu wollen? Dass Amerika einen Großteil dieser Massenvernichtungswaffen dem Irak im Krieg gegen Iran zur Verfügung stellte? Niemand muss sich tödlicher Gefahr hingeben, nur weil er seinem potenziellen Mörder die Waffe in die Hand gegeben hat.

„Wir sind Pazifisten, weil wir es aus organischenGründen seinmüssen“

Gewaltig sind die weltweiten Demonstrationen gegen diesen Krieg, und schön ist die Demokratie, die sie ermöglicht. Unsere hoch technisierten Medien verhelfen ihr zu gewaltiger Blüte. Journalistische Einpeitscher im Radio und Fernsehen sind schneller als der Krieg, über den sie berichten, und ihre Kommentare holen sie sich bei Volkes Stimme.

Der Tankstellenmitarbeiter in Kairo ist so glücklich über den Tod amerikanischer Soldaten, und diese spontane Äußerung wird über 48 Stunden vielfach wiederholt. Dass am vergangenen Samstag 200.000 Menschen in New York gegen Bush protestierten, gleichzeitig auf einen Sieg ihrer Armee hoffend, scheint weniger attraktiv.

Krieg, das deutsche Wort sagt es deutlich, hat etwas zu tun mit Leben. Krieg bedeutet zugleich: bekommen, erhalten, abkriegen, krieg den Krieg. Darum geht es auf allen Sendern. Wie viel Frustration über Arbeitslosigkeit, abgestürzte Aktien, Rentenreform und Pisa-Studie geht da mit ein. Vormittags Schule schwänzen und demonstrieren, abends sich selbst im Fernsehen angucken. Man unterschätze nicht dieses Ventil der aggressiven Selbstdokumentation in Zeiten überwältigender Hilflosigkeit. „Scheiß auf Bush, scheiß auf Blair, wir wollen keine Kriege mehr“, skandierten in Frankfurt am Main Jugendliche. „Vielleicht hört uns die Welt“, weinte eine Berlinerin in ein Mikrofon. „Denen fehlt mal ein Zweiter Weltkrieg in Amerika, damit die wissen, wie das ist.“

Volkes friedliebende Stimme „vor Ort“ – ein Krisengebiet besonderer Art. Peace, Pace, Frieden, Salam steht auf Transparenten deutscher Demonstranten. Es fehlt das hebräische Wort. Schalom schreibt niemand hin. Volkes Stimme ist auch dort zu hören, wo sie lieber verschweigt.