ein arabisches tv-tagebuch
: Der Schriftsteller Sélim Nassib über den Irakkrieg auf al-Dschasira

Ein Sarg für die Demokratie

Ein Scheich mit weißem Bart präsentiert die Fatwa, welche die höchsten religiösen, schiitischen Autoritäten verkündet haben. Darin belegen sie jedermann mit einem göttlichen Fluch, der die amerikanisch-britischen Invasionstruppen unterstützt. Der Korrespondent von al-Dschasira in Basra bestätigt, dass die große schiitische Stadt im Süden ruhig ist und dass es keine Spur von einem Volksaufstand gibt, von dem der britische Kommandant am Vortag gesprochen hat.

Die Bilder von Bewohnern, die vor einem Brunnen Schlange stehen, um sich mit Trinkwasser zu versorgen, werden ständig wiederholt, „weil die Bombardierungen auf Ziele für die Versorgung der Bevölkerung gerichtet sind“, sagt der Kommentator. Der Bildschirm ist zweigeteilt: Links werden immer wieder Bilder des bombardierten Markts in Bagdad, wie in einer Endlosschleife, gezeigt. Rechts antwortet ein Sprecher der amerikanischen Armee auf Fragen von al-Dschasira. Blass und angespannt erklärt er, dass die Bombardierung ein bedauerlicher Fehltreffer war.

„Sie haben ein Krankenhaus gestürmt und 170 Personen, davon viele Zivilsten, festgehalten“, sagt der Journalist. „Das aber nur, weil man uns aus dem Krankenhaus beschossen hat. Und die Zivilisten, von denen Sie sprechen, waren bewaffnet. Das verstößt absolut gegen die Genfer Konventionen.“ „Sie sprechen von den Genfer Konventionen und überfallen ein Land, wobei Sie sich über das Votum der Vereinten Nationen hinwegsetzen. Wie soll sich die Bevölkerung denn verteidigen angesichts einer Kriegsmaschine, die so mächtig wie Ihre ist?“ „Wenn Sie versuchen, die Taktik von Saddam zu rechtfertigen, erinnern Sie sich daran, welche Waffen er gegen die Kurden in Halabja eingesetzt hat, gegen den Iran, gegen Kuwait.“

Im gleichen Moment sieht man auf der anderen Hälfte des Bildschirms einen Leichnam am Boden sowie einen anderen leblosen Körper voller Blutflecken, der in einer Bahre die Straße entlanggetragen wird, und junge Demonstranten, die in der Mitte von Trümmern schreien: „Mit unserer Seele, mit unserem Blut rächen wir dich, Saddam!“

Der Informationskanal aus Katar hat sich in den Dienst einer arabischen Welt gestellt, die aus ihrem tiefsten Inneren heraus gegen die Invasion ist und solidarisch mit der irakischen Bevölkerung. Das Regime von Saddam profitiert von diesem Schwenk und dem Verstummen jeder abweichenden Stimme auf dem Sender, selbst wenn dem amerikanisch-britischen Standpunkt weiterhin Platz eingeräumt wird.

Bei einer erneuten Demonstration in Khartum erscheint ein seltsames Bild: ein Sarg in Originalgröße aus weißem Papier, den junge, wütende Sudanesen zerreißen und mit Füßen treten. Auf einer seiner Seiten stand in schwarzen Buchstaben nur ein einziges Wort geschrieben: „Demokratie.“

SÉLIM NASSIB

Der libanesische Schriftsteller und Journalist Sélim Nassib lebt und arbeitet seit 1969 in Paris. In einer Kolumne für die Libération, El País und die taz vergleicht er die Kriegsberichterstattung des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira mit der Darstellung auf anderen Sendern