Im Zweifelsfall für das Recht

Nur ein starkes Völkerrecht garantiert, dass die Menschenrechte weltweit durchzusetzen sind. Wer es ignoriert, unterstützt letztlich den US-amerikanischen Interventionismus

Wer sollte denn darüber befinden, ob eine Intervention der Wahrung der Menschenrechte gedient hat?

Das Völkerrecht ist zu Recht in der Diskussion. Denn: Internationale Rechtsnormen und Institutionen können nicht glaubwürdig sein, wenn sie ganze Weltregionen – wie Afrika – aus dem Blick verlieren. Ihr Universalitätsanspruch ist bislang offenkundig ungerechtfertigt und mithin „die Frage, was an einem per Krieg herbeigeführten Regimewechsel im Irak falsch ist, nicht mehr unter Hinweis auf abstrakte Rechtsgrundsätze zu beantworten.“ So hat Dominic Johnson auf dieser Seite (taz, 25. 3. 2003) argumentiert und geschlussfolgert: „Der Test, ob ein Krieg gerechtfertigt ist oder nicht, besteht nicht in der Einhaltung juristischer Prinzipien, sondern in der Wahrung der Menschenrechte.“

Lassen wir die Frage beiseite, ob die Menschenrechte nicht auch ein juristisches Prinzip sind. Tatsächlich beklagt der Debattenbeitrag berechtigterweise die selektive Anwendung des Völkerrechts: Die führenden Staaten bestimmen wesentlich die Politik der UNO gemäß ihrer nationalen Interessen. Johnsons Schlussfolgerung allerdings, dass ein Recht, das nicht immer durchgesetzt werde, besser gar nicht mehr beachtet werden soll, ist falsch.

Wer die Schwäche der internationalen Organisationen beklagt, kann nicht ernsthaft wollen, dass sie gänzlich durch den hemdsärmeligen Interventionismus des militärisch Stärksten ersetzt werden, auch wenn dieser glaubwürdig vorgäbe, im Interesse der Menschenrechte zu handeln. Das wäre ein echter Rückfall in die Zeit des Kalten Krieges, als beide Supermächte innerhalb der jeweils zugestandenen Hegemonialgebiete nach Belieben herrschten und eingriffen – im Namen des Sozialismus auf der einen, im Namen von Demokratie und Menschenrechten auf der anderen Seite. Die Ergebnisse dieses Interventionismus dürften nicht nur in Chile und Prag bekannt sein.

Diese Zeiten könnten wirklich vorüber sein, und tatsächlich ist die Diskussion über die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte in den 90er-Jahren rasant vorangeschritten – im Rahmen der internationalen Organisationen, nicht gegen sie. So hat sich das internationale Strafrecht fortentwickelt: über die Kriegsverbrechertribunale zu Exjugoslawien und Ruanda, die Verhaftung des chilenischen Exdiktators Augusto Pinochet bis zum Internationalen Strafgerichtshof, dessen Chefankläger gerade in dieser Woche ernannt wurde. Die Grundidee dieses Gerichts: Wer sich schwerer Verbrechen wie Völkermord, Folter, Verbrechen gegen die Menschheit schuldig macht, soll auch dann nicht vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt sein, wenn er in seinem Land Regierungsämter bekleidet oder sonstwie Immunität genießt.

Wichtig war auch die Debatte um menschenrechtlich begründete Militärinterventionen, die vor allem aufgrund des Kosovokriegs geführt wurde. Sie hat zwar mit dem derzeitigen Irakkrieg nichts zu tun – zum Glück behaupten nicht einmal die USA und Großbritannien, dass sie Bagdad und Basra wegen der Menschenrechte bombardieren.

Die Fortschritte des internationalen Strafrechts und die Debatten um humanitäre Interventionen haben gemein, dass sie das Konzept nahezu uneingeschränkter nationaler Souveränität auflösen. Zudem geht es darum, Kriterien zu benennen, die eine Einmischung, ja eine militärische Einmischung rechtfertigten oder sogar notwendig machen. Solche Kriterien können nur sinnvoll sein, wenn sie allgemein angewendet werden, sonst können sie missbraucht werden.

Allerdings: Wer militärisch intervenieren will, muss dazu auch in der Lage sein. Die einzige Macht, die dafür die Voraussetzung derzeit weltweit erfüllt, sind die Vereinigten Staaten. Nur: Gerade die USA bestehen vehement auf ihrer Sonderrolle, die eben zu jener Selektivität führt, die Dominic Johnson zu Recht anprangert. Sie bekämpfen den Internationalen Strafgerichtshof und führen Krieg ohne jenes UN-Mandat, das derzeit einzig die Legitimität der Intervention nach den gültigen Regeln bestätigen könnte. Sie wehren sich außerdem gegen die vorsichtigen Versuche der weiteren Verrechtlichung internationaler Beziehungen, die vor allem die Europäer – ausnahmsweise geschlossen – voranbringen wollen.

Weitestgehende Klarheit und die Gleichheit aller vor der internationalen Justiz aber, also ein starkes Völkerrecht, ist die zwar nicht hinreichende, aber dennoch absolut notwendige Bedingung, um die Menschenrechte weltweit durchzusetzen. Wer das Völkerrecht für irrelevant erklärt, schadet auch den Menschenrechten. Wer sollte denn darüber befinden, ob eine Intervention der Wahrung der Menschenrechte gedient hat oder nicht, wenn es darüber keine juristische Einigung gibt, ein UN-Mandat nicht mehr relevant ist und Urteile des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag keine Beachtung mehr finden? Nein: Das Völkerrecht muss weiter entwickelt und gestärkt werden. Ignorieren dient auch den Menschenrechten nicht.

Die grundsätzliche Bedeutung eines allgemein gültigen Rechtsrahmens wie des Völkerrechtes kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schwierigkeiten, es auch durchzusetzen, sich in Zukunft eher vergrößern werden. Auf nationaler Ebene garantiert das staatliche Gewaltmonopol die Durchsetzung des Rechts – international gibt es, auch absehbar, keine Entsprechung. Die einseitige militärische Dominanz der USA und die Bereitschaft zumindest der derzeitigen Regierung, diese zur Durchsetzung der eigenen Interessen auch einzusetzen, schafft eine Definitionsmacht, die stärker ist als alle Rechtsnormen. Wenn das nicht zu Nachahmungstaten und dauerhaftem Rechtsverfall führen soll, hilft nur internationales Beharrungsvermögen.

Auch die Amerikaner werden merken, dass eine imperiale Strategie ihre Welt nicht sicherer macht

Das hat die Mehrheit der derzeitigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates durchaus bewiesen, als sie den USA und Großbritannien die Zustimmung zu einer kriegslegitimierenden Resolution verweigerte. Die Entscheidung war wichtig, aber sie reicht nicht aus – der Krieg im Irak wird geführt. Ob sich danach für die Menschen im Irak irgendetwas zum Besseren wendet, ist unklar, ohnehin bestenfalls ein Nebenprodukt.

Und: Allenfalls ein militärisches Desaster könnte die neokonservativen Strategen im Weißen Haus und im Pentagon davon abhalten, den nächsten Feldzug bereits vorzubereiten. Solange aber die USA das Völkerrecht mit Füßen treten, wird es auch in anderen Teilen der Welt wenig Aussicht auf Erfolg haben.

Dennoch oder gerade deswegen bleibt kaum ein anderer Weg als die Beharrung auf Rechtsgrundsätzen, Institutionen und Werten. Es gibt dazu keine Alternative. Im Übrigen ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die US-Amerikaner merken, dass die imperiale Strategie der Richard Perles ihre Welt nicht sicherer macht. Die Gefahr ist, dass immer mehr Länder bis dahin ihr Verhältnis zu den bisherigen Rechtsnormen zugunsten wohlfeiler bilateraler Anbiederung an das Weiße Haus auf den Kopf stellen. Wer das Völkerrecht für ungültig erklärt, leistet dem Vorschub. BERND PICKERT