Zukunftsmusik

Popstars wünschen sich derzeit ein bisschen Frieden, wollen aber nichts gegen den Krieg gesagt haben

Viva hat das Peace-Zeichen rechts oben in der Ecke des Bildes untergebracht, bei der Filiale des Musikfernsehsenders steht dahinter schön solidarisch noch plus. Mehr Peace ist besser. Die Logofizierung des Friedenschaffenwollens schreitet voran, und auch im Pop sind eine Menge Leute dabei, wenn es darum geht, zu zeigen, wofür sie stehen. Lenny Kravitz hat mit dem irakischen Sänger Kadim al-Sahir gemeinsam das Lied „We want Peace“ aufgenommen, das über den Krieg am Golf hinaus die Zukunft der Freiheit in aller Welt gleich mitbedenkt. Die Erwachsenenrockband Fleetwood Mac ist letzte Woche mit „Peacekeeper“ in die US-Charts eingestiegen, demnächst will auch Madonna mit der Veröffentlichung von „American Life“ nachziehen.

Allerdings hat die Queenmother of Pop erklärt, dass der Song – trotz Gerüchten um ein dazugehöriges Video mit schaurigen Opferbildern – „nicht ‚Anti-War‘ ist, in keiner Form“. Und auch Kravitz möchte sich mit seinem Lied nicht auf einen Kurs gegen den Krieg festlegen lassen, sondern nur auf sein Bekenntnis zur Versöhnung der Menschheit im Allgemeinen. Damit bleiben genug Optionen offen: Das eigentliche Ziel liegt nicht im Engagement gegen den Militäreinsatz im Irak, sondern im Erreichen eines humaneren Zusammenlebens innerhalb einer idealen Weltengemeinschaft.

Mit einer solchen Vorstellung können vermutlich selbst die Falken der Bush-Administration leben, die den Krieg deshalb begrüßen, weil er für sie ein legitimes Mittel darstellt, um auf Dauer Frieden im Nahen Osten zu schaffen. Tatsächlich geht es ja auch gar nicht so sehr um moralische Gegensätze zwischen Frontpatrioten und Poppazifisten, sondern um das jeweilige politische Handeln, das sich aus dieser Haltung ergibt. Doch dieser Widerspruch wird nicht zum Konflikt: Kravitz und Co. rocken für den Frieden, Rumsfeld lässt weiter Bagdad bombardieren, beides geschieht im Konsens mit der eigene Zielgruppe.

Diese Trennung kann auf musikalischer Seite durchbrochen werden, indem genau das thematisiert wird, was hier und jetzt geschieht: Es ist Krieg. Entsprechend scharf klangen während der Sechziger- und Siebzigerjahre die Slogans angesichts von Vietnam – bei Motown sang Edwin Star, dass „War“ für absolut nichts gut sei; und sogar Stars-and-Stripes-Fetischisten wie Grand Funk Railroad skandierten damals: „People let’s stop the war“. So wurde der Krieg in den USA als Gegenstand der Alltagserfahrung sichtbar gemacht. In den aktuellen Popsongs dagegen ist jeder herbeigewünschte Frieden bloß Spekulation: Zukunftsmusik – und damit realitätsferner als immer wieder Liebeslieder. HARALD FRICKE