RENTENDEBATTE: KINDERLOSIGKEIT DARF NICHT BESTRAFT WERDEN
: Ein Schritt zu weit

Der Rentenstreit hatte ja schon öfter so seine moralischen Tiefpunkte. Aber es geht immer noch ein bisschen weiter abwärts. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat sich jetzt für die Idee erwärmt, Kinderlosen die Rente zu kürzen. Sie favorisiert damit den Vorstoß von Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner Ifo-Instituts, der vorschlägt, Kinderlosen die Rente zu halbieren.

Merkel erntete zwar sofort Widerspruch aus den eigenen Reihen. So protestierte Niedersachsens CDU-Ministerpräsident Christian Wulff, man dürfe den vielen ungewollt kinderlosen Ehepaaren künftig nicht noch finanzielle Einbußen aufbürden. Trotzdem aber ist die Zäsur nicht mehr zuzukleistern: Es kommt plötzlich ein Moment der Bestrafung auf in der Rentendiskussion. So, als sollten Kinderlose büßen dafür, dass sie keinen Nachwuchs in die Welt setzten. Eine klare Grenzüberschreitung, denn es ist natürlich ein Unterschied, ob man für eine stärkere Förderung von Eltern und Kindern votiert oder ob man sich für massive Kürzungen bei Kinderlosen ausspricht.

Ifo-Chef Sinn argumentiert, das heutige Rentensystem biete zu viele Anreize, kinderlos zu bleiben. Wenn junge kinderlose Paare – trotz eigener Beiträge – aber nun künftig weniger aus der gesetzlichen Rentenkasse zu erwarten hätten, dann würde sich „manch ein bislang noch unschlüssiges Paar für Kinder entscheiden“.

Man könnte das lustig nehmen. Was ist zum Beispiel mit den Singles, den freiwilligen und den unfreiwilligen, was mit den Homosexuellen? Bekommen Lesben künftig ein Anrecht auf staatlich finanzierte Samenspenden, damit sie Nachwuchs in die Welt setzen? Oder macht man das gleich zur Pflicht? Haben Singles ein Anrecht auf kostenlose staatliche Partnervermittlung, unter drei Vorschlägen muss dann aber einer genommen werden? Ganz so spaßig ist es aber doch nicht. Denn Debatten wie die über den Merkel-Vorstoß befördern Ressentiments – zum Beispiel die zwischen Kinderlosen und Eltern. Mit Ressentiments aber lassen sich keine Sozialreformen machen. Und Merkel hätte das wissen müssen. BARBARA DRIBBUSCH