CNNs chinesische Freunde

Die Volksrepublik im Medienrausch: Der Irakkrieg sprengt die Grenzen der bisherigen parteilichen Propaganda. Die Welt auf den Bildschirmen und in den Zeitungen ist nicht mehr wiederzuerkennen. China nimmt am globalen Medienwettkampf teil

Die Welt ohneCNN-Bilder ist fürChina ein für allemal untergegangen

aus Peking GEORG BLUME

Die junge Redakteurin des chinesischen Staatsfernsehens CCTV platzt fast vor Aufregung: „Natürlich finde ich den Krieg nicht gut“, sagt die 25-jährige Studiofrau in Jeans und Seidenhemd formhalber. Schon im nächsten Moment aber bricht aus der studierten Anglizistin der neu gewonnene Berufsstolz heraus: „Ich bin glücklich, dass wir das erste Mal schnell auf die Weltereignisse reagieren können und nahezu freie Wahl haben, das Material von CNN und anderen Sendern zu übernehmen.“

Daraufhin schwärmt die CCTV-Redakteurin von „siebenstündigen Live-Sendungen“, vom „enormen Zuschauerecho“ und einer „Versechsfachung“ der Einschaltquoten. Es klingt, als sei die eben erst aus den parteilich geschützten Bilderwelten der chinesischen Administration ausgebrochene Fernsehfrau wohlauf im globalen Medienwettkampf angekommen.

In Wirklichkeit erleben nicht nur Journalisten, sondern die meisten Chinesen dieser Tage einen doppelten Bilderschock: Zum Schock des Kriegsgeschehens am Persischen Golf kommt der Schock der ersten umfassenden Medienberichterstattung über ein Ereignis fern der chinesischen Grenzen. Die Welt auf den Bildschirmen der Volksrepublik – und ebenso die auf ihren Zeitungsseiten – ist schlicht und ergreifend nicht mehr wiederzuerkennen.

Wo eben noch die Überschaubarkeit einer pragmatisch-parteilichen Weltsicht regierte, herrscht plötzlich das Tohuwabohu des westlich-islamischen Kultur- und Wüstenkampfes. Noch nie hat man so viel Bilder des amerikanischen Nachrichtensenders CNN im chinesischen Fernsehen gesehen wie seit dem Kriegsausbruch. Ansprachen von George W. Bush, Tony Blair und anderen Kriegsherren werden live gesendet und simultan übersetzt. Zugleich konkurrieren diese Aufnahmen mit denen arabischer Fernsehsender – und das mit wahrnehmbaren Erfolg. Nur die eigenen Leute von CCTV erscheinen da im internationalen Vergleich noch etwas ungeübt.

Immerhin aber berichten die Reporter des Staatssenders aus allen Nachbarländern des Irak – ebenso wie die schreibende Zunft. Große Blätter wie die in der Hauptstadt führende Pekinger Jugendzeitung setzen den Dauer-Livesendungen im Fernsehen inzwischen eine tägliche Sonderberichterstattung über sechs bis acht Seiten entgegen.

Zumindest die Kommentierung der Dinge behält sich die Partei noch vor

Welche Medienrevolution in China im Gang ist, lässt sich besonders gut im Rückblick auf den 11. September ermessen. Fünf Stunden brauchten die staatlichen Medien damals, um die Anschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington auch nur zu vermelden. CCTV zeigte dabei zunächst Standbilder, die das Geschehene kaum vermittelten. Am nächsten Tag druckten die Zeitungen entsprechend dünne Meldungen – die Parteizensur hatte, wie bis dahin bei jedem in seinen Folgen unabschätzbaren Ereignis, Zurückhaltung angemahnt.

Doch schon damals kündigten sich die Umwälzungen von heute an: Das chinesische Publikum reagierte mit Ärger, Hohn und Spott. Prompt informierte man sich übers Internet und beim Hongkonger Satellitensender Phoenix; die Parteizensur wurde der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Medienbranche aber schämte sich – so viel Professionalismus war in ihr längst gewachsen.

Umso selbstbewusster reagiert sie heute: „Freunde erzählen, sie hätten von Phoenix auf CCTV umgeschaltet. Das war früher unvorstellbar“, frohlockt eine andere CCTV-Redakteurin. Man hätte ihr gesagt, dass die militärischen Analysen im Staatsfernsehen viel genauer wären – was angesichts der Nähe zwischen Regierung und Armee nicht wundert.

Doch kommen auch neue Stimmen zu Wort: Etwa außenpolitische Experten wie Yang Chengxu und Yan Xuetong, die aufgrund ihrer unabhängigen Meinung für die taz in Peking seit Jahren wichtige Ansprechpartner sind. Dabei stehen ihre Auftritte nun unter dem Motto: viel Information und wenig Meinung. Zumindest die Kommentierung der Dinge behält sich die Partei noch vor. Und da deren neue Führung, wenngleich sie offiziell den Krieg verurteilt, mit Washington warm werden will, ist Kommentierung derzeit wenig gefragt. Derartige Einschränkungen der Meinungsfreiheit führen, auf der Suche nach den Ursachen der chinesischen Medienexplosion, zu einer ökonomischen Deutung. Demnach diktiert die Konkurrenz zwischen den in den letzten Jahren neu enstandenen, privatwirtschaftlich geführten Medienkonzernen den Kriegsrausch der Bilder und Blätter.

Plötzlich herrscht das Tohuwabohu des westlich-islamischen Wüstenkampfes

Schließlich berechnet sich der Preis für TV-Werbung inzwischen auch in China anhand der Zuschaltquoten. Zugleich konkurrieren die traditionellen, im Dienst der Parteipropaganda entstandenen Medien mit neuen Internetunternehmen wie www.sina.com, www.sohu.com und www.netease.com, die den über 200 Millionen chinesischen Handy-Benutzern heute Kriegsnachrichten rund um die Uhr im Sonderabo per SMS bieten.

Und doch erklärt die Ökonomie nicht alles. Es kann kein Zufall sein, dass der Selbstbefreiungsschlag der Medien in Sachen Irak nur wenige Tage nach Bildung einer neuen Regierung in Peking stattfindet.

Immerhin hat der neue Premier Wen Jiabao den Medien explizit eine Kontrollfunktion gegenüber seiner Regierung zugestanden. Und der Krieg wird lang genug dauern, um die ganze Branche auf den Geschmack zu bringen. Die Welt ohne CNN-Bilder ist für die Chinesen ein für allemal untergegangen.