Die Aura des zu Unrecht Geschassten

Was den Exgeneral und Kriegskommentator Wesley Clark mit dem Fußballexperten Günter Netzer verbindet

Wesley Clark dürfte der einzige der zahllosen Militärexperten im amerikanischen Fernsehen sein, bei dem sich der Moderatensatz „Always a pleasure to talk to you“ nicht nach einer Floskel anhört, die zu den neuesten Breaking News überleitet. Seit der Irakkrieg begonnen hat, ist der ehemalige Oberbefehlshaber der europäischen Nato-Streitkräfte und jetzige Chef-Militärexperte auf CNN zu so etwas geworden wie dem Günter Netzer des amerikanischen Kriegsfernsehens.

Genau wie Netzer ist Clark immer sowohl unabhängiger Beobachter als auch ehemaliger Insider, der sich bis ins Detail mit den Abläufen vor Ort auskennt. Clark kann erläutern, wie lang eine Scud-Rakete ist, und erklären, wie verschiedene Waffensysteme funktionieren. Ihm reichen wenige Bilder von Panzern, die in der Wüste vorrücken, um ein Bild von der Situation zu zeichnen, wie sie sich vor Ort aller Wahrscheinlichkeit nach gerade darstellt. Häufig lässt er den eingebetteten Reporter, der einige Minuten später das Gleiche noch mal erzählt, als genau den Zivilisten dastehen, der er wahrscheinlich auch ist. Er spricht mit der Unabhängigkeit des umfassend informierten Privatmanns und hat doch in jedem Augenblick die Autorität des ehemaligen Generals, der schon einen Krieg geführt hat, den Kosovokrieg nämlich.

Ähnlich wie Netzer umweht auch Clark die Aura des zu Unrecht Geschassten. Ersterer musste nach der Europameisterschaft von 1972 die deutsche Nationalelf verlassen, um dem Sicherheitsfußball der späteren Weltmeisterelf nicht mehr im Wege zu stehen. Letzterer wurde kurz nach dem Kosovokrieg, einige Monate vor Ablauf seiner Amtszeit, von seinem Posten als Oberkommandierender der europäischen Nato-Streitkräfte abberufen. Es heißt, der damalige US-Außenminister James Baker habe ihn nicht leiden können.

Genau wie Netzer eilt auch Clark der Ruf voran, eigentlich zu Höherem bestimmt zu sein. Seit Monaten wollen die Stimmen nicht verstummen, die ihn als möglichen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten sehen. Tatsächlich gilt Clark als relativ liberaler Demokrat. Er ist zwar gegen die unter Bill Clinton eingeführte Politik, Schwule und Lesben zum Dienst in der US Army zuzulassen, ansonsten vertritt er aber dezidiert liberale Positionen: Er ist für Abtreibung, er verteidigt die Affirmative-Action-Programme an den amerikanischen Universitäten, und er ist ein scharfer Kritiker des Abbaus der Bürgerrechte, die die Verabschiedung des Patriot-Acts mit sich brachte. Außerdem ist Clark überzeugter Multilateralist: Mehrfach hat er betont, der gesamte War on Terror wäre besser bei der UNO und der Nato aufgehoben als in der alleinigen Verantwortung der US-Administration. Clark hat auch nie ein Hehl daraus gemacht, dass er die amerikanische Diplomatie, die dem Irakkrieg vorausging, für ein großes Desaster hält.

Im vergangenen Herbst wurde er schon als möglicher Senator für Arkansas gehandelt. Doch er hat sich nie zu diesen Gerüchten geäußert. Bislang ist er nicht einmal Mitglied der Demokraten. So dürfte es ähnlich unwahrscheinlich sein, dass er tatsächlich in das Rennen um die demokratische Präsidentschaftsbewerbung eintritt, wie es die Erfüllung des Traums deutscher Fußballästheten war, Günter Netzer auf dem Posten des Bundestrainers zu sehen.

TOBIAS RAPP