ein arabisches tv-tagebuch
: Sélim Nassib über den Irakkrieg auf al-Dschasira

Im Gleichklang des Hasses

Vor dem Hintergrund einer wahren Menschenflut gibt der Korrespondent von al-Dschasira bekannt, dass es sich um die größte Kundgebung handelt, die Peschawar je gesehen hat. An der Grenze zu einem Afghanistan, das von amerikanischen Truppen besetzt wurde, um „das Terrornetzwerk von al-Qaida“ zu zerschlagen, nimmt das öffentliche Verbrennen des Sternenbanners eine ganz besondere Note an. Viele der Männer tragen die Kopfbedeckung der frommen Muslime, und der weißbärtige Scheich, der eine Ansprache hält, ruft zum Dschihad auf. In der Menge dreht ein Demonstrant sein Schild herum, um dessen beide Seiten zu zeigen: Ussama Bin Laden auf der einen Seite, Saddam Hussein auf der anderen.

Auch in Rabat, der Hauptstadt von Marokko, ist die Demonstration gegen den US-Einmarsch „historisch und ohne Vorläufer“, gibt der Sender aus Katar bekannt. Inmitten eines menschlichen Wirbelwinds forden Frauen mit Kopftuch und aufgebrachte Männer die sofortige Ausweisung der amerikanischen und britischen Botschafter und rufen, auch hier, zum Dschihad auf.

Vor der Jahresversammlung einer einflussreichen amerikanischen, proisraelischen Lobby warnt der US-Außenminister Colin Powell Syrien und den Iran vor jeder Unterstützung terroristischer Gruppen. Nach der Nachricht, dass sich 4.000 arabische Freiwillige im Irak befinden sollen, fürchtet die Bush-Administration offenbar, dass Elemente der libanesischen Hisbollah oder palästinensische Islamistengruppen, die von Damaskus kontrolliert werden, in den Tanz einsteigen.

In einem Interview mit der BBC, dass von al-Dschasira übernommen wird, macht sich der irakische Vizepräsident Tarik Asis einen Spaß daraus, zu bestätigen, dass die „Märtyrer-Operationen“, ausgeführt von Freiwilligen aller Nationalitäten, fortgesetzt würden.

Präsident Bush hatte den Angriff auf den Irak mit der Behauptung gerechtfertigt, dass es eine Verbindung gebe zwischen dem Regime in Bagdad und den islamistischen Terroristen von al-Qaida. Wissend um den notorischen Hass, den Ussama Bin Laden und Saddam Hussein füreinander hegen, war niemand davon überzeugt gewesen. Aber mit Blick auf die Entwicklung der Lage, wie sie von al-Dschasira berichtet wird, droht diese Verbindung am Ende Realität zu werden. Die zwei großen rivalisierenden Strömungen, welche die arabisch-muslimische Straße bewegen, die vom arabischen Nationalismus inspirierte und die islamistisch beeinflusste, sie könnten versucht sein, ihre Stimmen in Gleichklang zu bringen. Denn es geschieht ja nicht alle Tage, dass man die Gelegenheit bekommt, mit einem Sprengstoffgürtel um die Hüfte dem Imperalismus oder (wahlweise) dem großen amerikanischen Satan entgegenzutreten.

SÉLIM NASSIB

Der libanesische Schriftsteller Sélim Nassib begleitet in seiner Kolumne die Berichterstattung des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira