Kochen allein genügt nicht

Schon lange hat Köln keinen Ruf mehr als Theaterstadt. Das wollte der Intendant Marc Günther ändern und Talente um sich sammeln. Studieren kann man an seinem Schauspielhaus nun allerdings nur, wie große Erwartungen weich gekocht werden

von ALEXANDER HAAS

Köln und Theater? Schwieriges Thema – nach wie vor. Daran hat auch der Anspruch des seit Beginn der laufenden Spielzeit agierenden Schauspielintendanten Marc Günther nichts geändert. Bei seinem Dienstantritt im vergangenen Herbst grenzte er sich zwar markig gegen Frank Castorfs Berliner Volksbühne ab: Dessen Theater sei vorbei, es gehe jetzt wieder ums Narrative. Bye-bye, Deconstruction-Franky! Nur hat Castorf gerade eben wieder zwei Regiepreise abgesahnt, während an Rhein und Ruhr trotz Günthers vollmundigen „Bundesliga“-Verkündigungen nach wie vor Bochum und Oberhausen das erfolgreichere Theater machen. Daran haben auch die inzwischen 17 Schauspielpremieren unter Günther und seinem geschäftsführenden Intendantenkollegen Peter F. Raddatz nichts geändert. Kurz: Dem Einstand der Neuen fehlten bisher die zukunftsweisenden Signale.

Umso größer war natürlich die Spannung, als der Hausherr sich jetzt mit einer Inszenierung von Italo Svevos Komödie „Ein Mann wird jünger“ im Schauspielhaus das erste Mal selbst ans Kölner Regiepult schwang. Doch was Günther ablieferte, war die bislang uninspirierteste und musealste Aufführung dieser Spielzeit. Man saß da im Theater – „Shock and Awe“ frisch im Genick – und ließ sich unter seicht-suggestiver Dinner-Jazz-Berieselung die Geschichte des alternden Bürgers Giovanni und dessen absurder Hoffnung auf eine Verjüngungsoperation vom Blatt herunter erzählen. Das Ganze war so belanglos, dass politisch inkorrekte Gemüter über die Realitätsablenkung schon wieder froh waren.

Damit reihte sich Günther als Regisseur nahtlos ein in das Gros der bislang am neuen Kölner Schauspiel gezeigten Inszenierungen. Gemessen am eigenen Anspruch – und an dem der Kritik – konnten sich davon höchstens drei oder vier wirklich sehen lassen. Zwar ist das Publikum allem Anschein nach jünger geworden, doch was die Auslastung angeht, muss das Haus mit seinen vier Spielstätten gegenüber den letzten Zahlen der Vorgänger einen Rückgang von etwa zehn Prozent hinnehmen.

Der Spielplan Marc Günthers, zuvor Schauspielchef in Graz, gibt sich variationsreich und tendenziell jung, sowohl was die Stückauswahl von Autoren wie Ingrid Lausund betrifft als auch die engagierten Regisseure, unter ihnen Enrico Lübbe oder David Dusan Parizek. Eine ästhetische und dramaturgische Programmatik ließ sich darin aber bisher nicht erkennen. Das Versprechen, das Haus wieder in die Stadt hinein zu öffnen, kommt über eine Talk- und Kochshow mit dem Chef nicht hinaus. Von einem Ort, der einen lebendigen Reflexionspol in der Stadt bildete, kann keine Rede sein. Der Intendant lässt die Leute machen und bietet, darin seinem Ruf treu, dem Publikum wenigstens einige neue Regiehandschriften.

Für Kölner Verhältnisse neue Regiegesichter gab’s auch am vergangenen Wochenende wieder, mit zwei Premieren von Albrecht Hirche und der Chefdramaturgin Heike Frank, die in der kleineren Schlosserei die Regie bei Werner Schwabs „Übergewicht, unwichtig: Unform“ übernommen hatte. Das bewerkstelligte sie ordentlich. Trotzdem blieb das Gefühl einer Inszenierung, die so oder ähnlich schon an jedem x-beliebigen mittleren Stadttheater gelaufen sein muss. Um Schwabs’ ebenso genialen wiewohl zeitgebundenen Texten auf der Bühne neue Kraft zu geben, bedürfte es wohl eines ganz anderen, nicht in erster Linie illustrierenden Zugangs.

Der Independent-Regisseur Albrecht Hirche brachte in der rechtsrheinischen Halle Kalk sein Projekt „Die zehn besten Rocksongs der Weltgeschichte“ zur Uraufführung. Formal gesehen war seine Inszenierung eigenen Textmaterials um eine Moderatorenshow und allerlei Assoziationen in Sachen Rock ’n’ Roll erwartungsgemäß weniger an konventionellem Stadttheater orientiert: schöne szenische Raumlösungen, nur angerissene Geschichten, gelungene Einzel- und Ensemble-Interpretationen großer Rocknummern. Das Problem lag im Stoff selbst. Die Show knallte zwar ordentlich, hangelte sich aber im Ganzen allzu spürbar an der Ablieferung der 10 Songs entlang.

Wieder eine Woche mit großen Erwartungen, die im kölschen Kunterbunten langsam weichgekocht werden. Fast möchte man Marc Günther empfehlen, jetzt mal auf Planwirtschaft umzuschalten.