bücher für randgruppen
: „Faszination Wolf“: Ein Mythos kehrt zurück – inklusive Soundtrack

Dilettantische Singhunde

Der Wolf ist wieder da. Einzelne Exemplare des vor über 150 Jahren in Deutschland ausgerotteten Tieres durchirren die Wälder in Brandenburg oder Bayern. Gelegentlich erreicht uns die Nachricht eines vom Auto überfahrenen oder von einem übereifrigen Jäger abgeschossenen Exemplars – wie Wölfin „Bärbel“ aus Niedersachsen. Übereifrig, weil nicht zuletzt das Brandenburgische Umweltministerium vor einem Jahrzehnt dafür sorgte, dass das arg verfemte Tier unter Schutz gestellt wurde.

Auf jeden Fall kehrt der europäische Wolf (Canis lupus lupus) zurück. Die Existenz von zehn wild lebenden Exemplaren in Deutschland vermeldet ein schmales Werk in blau glänzendem Pappumschlag mit dem Titel „Faszination Wolf“. Das sind immerhin 0,1 Prozent des Gesamtbestands in Europa. Und optimistisch mutmaßt es auf einem Hintergrund, der an die Farbe von orthopädischen Strümpfen erinnert: Tendenz wachsend. Das 38 Seiten umfassende Werk betont stolz: das einzige Buch zum Thema. Nicht zum Thema Wolf, sondern zum Thema seiner Rückkehr.

Das mag etwas übertrieben klingen, besteht doch ein großer Teil der Texte aus allgemeinen populärwissenschaftlichen Erkenntnissen über Herkunft, Verbreitung, über Mythos und Verhaltensbiologie. Vor einer mattgelben Mondscheibe erleben wir in drei Stufen die Verwandlung eines Menschen in einen Wolf: „Über Jahrhunderte hielt sich der Glaube an Werwölfe“, weiß die Illustration im Stil der 70er-Jahre. Möglicherweise hätte die legendäre Verwandlung von Michael Jackson aus „Thriller“ die angesprochene Zielgruppe heranwachsender Wolfsfreunde mehr berührt.

An anderer Stelle präsentiert uns Illustratorin Golte-Bechtle ein merkwürdig verspanntes Rotkäppchen, das dem Wolf eigenartig, fast obszön unter die Bettdecke zu greifen scheint. Auch dieses Märchen hat dazu beigetragen, dass der Wolf über Generationen so ein schlechtes Image bekommen hat. Dabei wirkt er gar nicht so unsympathisch, die Vorstellung eines Wolfes mit der Nachthaube einer Großmutter auf dem Kopf hat doch etwas durchaus Amüsantes. Dass auf Island wie auf den Britischen Inseln wegen Verfolgung keine Wölfe mehr beheimatet sind, wie „Steckbrief Wolf“ vermeldet, ist allerdings nicht die Schuld der Isländer, sondern des Wolfes und des Lektorats. Im Gegensatz zum Polarfuchs hat der Wolf dieses Land nie per Eisscholle erreicht. Dort existiert er nur in der mittelalterlichen Literatur als alles verschlingender Fenriswolf und als Männervorname Ulfur.

Trotzdem gibt es keinen Grund zum Meckern. Viele Farbfotos und interessante Informationen, wie die von der zahmen Wölfin Poiana, die sich mit Chiron, einem Deutschen Schäferhund, verständigen kann, werden durch Text und Bild anschaulich dargeboten.

Der eigentliche Clou aber ist die CD-Beilage mit den Stimmen kanadischer und französischer Wölfe. Beginnend mit dem Geheule eines großen Rudels in großer Entfernung, über einen Track, das an neue elektronische Musik erinnert, führt es hin zu total nervensägendem Geqietsche und, auf Track 8, zu katzenähnlichem Gejaule. Ein Soundtrack, wie man ihn aus Horrorfilmen wie „Wolfen“ kennt. So etwas könnte also in Zukunft aus deutschen Wäldern schallen.

Zur Einstimmung und Gewöhnung empfehle ich deshalb eine CD mit Tiermusik, die Oswald Wiener und Helmut Schoener im kanadischen Yukon-Territory aufgenommen haben: äußerst musikalische, gelegentlich mit den Ketten rasselnde Schlittenhunde, die – im Beiheft als „Singhunde“ bezeichnet – über eine weit reichere Skala von Lautäußerungen verfügen als Wölfe. Der Mensch müsse sich bei ihren Konzerten diskret verhalten. Denn sie, so Wiener, „misstrauen gerade den Bewunderern ihrer Kunst und wollen sie, wie alle Dilettanten, unbelauscht ausüben“. Ein betörendes Dokument, an dessen Klangschönheit der Mensch durch Jahrtausende währende Domestikation des Wolfes einen gewissen Anteil haben könnte.

WOLFGANG MÜLLER

Barbara und Christoph Promberger:„Faszination Wolf“. Kosmos Verlag,Stuttgart 2002, 36 S., mit Audio-CD,14,95 €ĽOswald Wiener, Helmut Schoener:„Animal Music/Tiermusik“. SupposéVerlag, Köln 2001, CD, 50 min,16,80 €