ein arabisches tv-tagebuch
: Der Schriftsteller Sélim Nassib über den Irakkrieg aus der Perspektive von al-Dschasira

Die Stille vor den Schüssen

Der übliche Nachrichtenfluss wird unterbrochen durch die Bekanntgabe der Bombardierung Basras. Sogleich erscheint die Stadt, gefilmt von dem Dach aus, auf dem al-Dschasira seine Kamera postiert hat. „Die Bomben sind gerade eben gefallen, vor nicht einmal drei Minuten, und der Rest dürfte nicht lange auf sich warten lassen“, berichtet der Korrespondent nervös und zeigt mit dem Finger auf die Punkte der Einschläge, die er beobachten konnte. Die Kamera dreht sich und zeigt die wie ausgestorben wirkende Stadt. Durch die Wolken fällt ein milchiges und schmutzig gelbes Licht von tödlicher Traurigkeit. Menschenleere Straßen, zerstörte Wohnhäuser, verschiedene Überreste. Es passiert nichts.

„Hören Sie den Lärm der irakischen Luftabwehr! Sie können auch die Explosionen am Himmel sehen, die durch das Feuer der Luftabwehrraketen hervorgerufen werden“, sagt der Journalist, bevor er unterbrochen wird. „Seien Sie für einen Moment ruhig und lassen Sie uns, zusammen mit Ihnen, beobachten und lauschen.“ Die Kamera dreht sich um 180 Grad und zeigt, so weit das Auge reicht, die Wohnhäuser und die Straßen, den verhangenen Horizont, den niedrigen Himmel, bevor sie ihren Fokus auf einen fahrenden Kleintransporter richtet, der offensichtlich mit irakischen Milizangehörigen beladen ist. In der Ferne hört man einen Muezzin, der zum Gebet aufruft, und sein Gesang scheint die diesige Stadt geradewegs einzuhüllen.

Jeder andere Fernsehsender hätte hier seine Übertragung abgebrochen, um zu einer anderen Sache überzuleiten. Aber al-Dschasira fährt noch ein gutes Dutzend Minuten lang fort, Bilder aus Basra zu zeigen, wo sich noch immer nichts tut. Dieser lange und geräuschlose Stillstand bricht mit dem hektischen Rhythmus, an den alle Nachrichtensender ihre Zuschauer gewöhnt haben. Die Unterbrechung des Tempos hat einen seltsamen Effekt. Man ist auf einmal in der Stadt, man fühlt, was es heißt, dort zu sein, verschanzt in seiner Wohnung, einem Flur, einem Keller, die Ohren gespitzt auf der Lauer liegend, darauf wartend dass das Bombardement wieder beginnt. Man stellt sich die stummen Menschen umringt von ihren Familien vor, gefangen zwischen dem amerikanisch-britischen Hammer und dem Amboss eines gnadenlosen Regimes.

Im gleichen Augenblick nehmen, auf CNN und BBC, die Kriegsbilder den Bildschirm ein. Wir sind mit den Soldaten, welche Türen einschlagen und Wohnungen durchsuchen, mit den Angehörigen der Truppen, welche ihre Panzer bewegen, mit der Artillerie, die sich um ihre Batterien drücken, welche die belagerte Stadt umstellen.

Die Kommentatoren können mehr oder weniger objektiv und differenziert sein. Aber durch das simple Spiel der Bilder wird deutlich, dass wir auf der einen Seite mit denen sind, welche die Bomben schicken, und auf der anderen mit jenen, die sie empfangen – oder die ängstlich darauf warten, sie zu empfangen. SÉLIM NASSIB

Sélim Nassib begleitet in seinerKolumne die Berichterstattung desarabischen TV-Senders al-Dschasira