Viele Kilobytes Gehacktes

Noch kein „E-Jihad“, aber schon ein wenig Cyberkrieg: Kriegsgegner und Befürworter machen sich im Netz das Leben schwer und attakieren feindliche Websites. Mails aus Bagdad sind hingegen rar

von TILMAN BAUMGÄRTEL

„Host temporarily not available.“ Diese Fehlermeldung erscheint immer mal wieder, wenn man im Internet versucht, die Website des arabischen Nachrichtensenders al-Dschasira aufzurufen. Seit der Sender am Montag vergangener Woche mit englischsprachigen Nachrichten ins Netz ging, wird die Website offenbar ununterbrochen von „Denial of Service“-Attacken heimgesucht. Dabei überflutet ein Programm die Website mit zahllosen Anfragen und überlastet so den Server, auf dem das Internetangebot gespeichert ist.

Bislang hat sich niemand zu den Angriffen bekannt. Wahrscheinlich stecken US-Hacker dahinter, denen der Sender, der unter anderem Bilder von amerikanischen Kriegsgefangenen und zivilen Kriegsopfern gezeigt hat, ein Dorn im Auge ist. Darauf deutet zumindest der Slogan hin, der in der vergangenen Woche kurzzeitig auf der Website von al-Dschasira platziert worden war: „Let freedom ring … God bless our troops“, hatte da eine „Freedom Cyber Force Militia“ hinterlassen – ein sogenanntes Defacement, bei der eine Website gelöscht und durch eine Botschaft der Hacker ersetzt wird.

Die Angriffe auf die Website von al-Dschasira sind Teil des Katz-und-Maus-Spiels, das seit Beginn der Angriffe auf den Irak im Internet zwischen Kriegsgegnern und Kriegsbefürwortern stattfindet und dem auch Internetangebote der anderen Seite zum Opfer gefallen sind – zum Beispiel die Website der spanischen Regierungspartei Partido Popular von Präsident Aznar sowie die Seite von 10 Downing Street, dem Amtssitz des britischen Ministerpräsidenten Blair. Hinter diesem Angriff steckt eine Gruppe, die sich „Electrohippies“ nennt und die Angriffe auf die Blair-Page als eine „Online-Sitzblockade“ bezeichnet.

Zu Zeiten, die die Gruppe auf ihrer Homepage bekannt gibt, soll das virtuelle Sit-in fortgesetzt werden, solange der Irakkrieg weitergeht.

Wirklichen Schaden jenseits der vorübergehenden Störung von einigen Internetangeboten hat freilich noch keiner dieser Angriffe angerichtet. Von einem „Cyberkrieg“, vor dem in den amerikanischen Medien vor Kriegsbeginn immer wieder gewarnt wurde, kann bisher noch nicht die Rede sein: Angriffe auf die Kommunikations-Infrastruktur, die in den US-Medien als „E-Jihad“ oder „suicide cyber attacks“ angekündigt wurden, hat es bislang nicht gegeben.

Eine weit wichtigere Rolle spielt das Internet dagegen bei der Verbreitung von Informationen, die in der Berichterstattung der „embedded journalists“, die die US-Truppen begleiten, nicht vorkommen. In den USA schießen kriegskritische „Weblogs“ geradezu aus dem Boden. Deren Macher – Universitätsprofessoren, Journalisten oder einfach nur „besorgte Bürger“ – sammeln auf ihren Websites Internet-Links zu Texten und Zeitungsberichten, die der hurrapatriotischen Berichterstattung der amerikanischen Presse widersprechen. Auch die Websites von englischsprachigen Zeitungen und Sendern in Europa – wie die der BBC und des Guardian –, die nicht in den Chor der amerikanischen Kriegsbegeisterung einstimmen wollen, sollen nach Angaben des Internet-Nachrichtendienstes Wired News erhöhte Zugriffszahlen aus den USA verzeichnen.

Das alles erinnert an die Nato-Angriffe auf Jugoslawien 1999, bei denen das Internet ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Nachrichten jenseits der alliierten Presseverlautbarungen spielte. Allerdings fehlt beim Irakkonflikt eine wichtige Stimme: die der Menschen, die angegriffen werden.

Das ist ein entscheidender Unterschied zu den Angriffen auf Belgrad während des Kosovokrieges 1999. Damals schickten Amateurreporter aus ganz Jugoslawien über das Internet Berichte über die Angriffe der Nato auf ihr Land. Anders als in Jugoslawien, wo es 1999 bereits eine gut ausgebaute technische Infrastruktur gab, können die Iraker allerdings nur über den staatlichen Internetprovider Uruklink ins Internet; für Privatpersonen ist der Zugang zum Netz kaum möglich.

Großes Rätselraten löste daher das Internet-Tagebuch eines Mannes aus, der sich Salam Pax nannte und angeblich direkt aus Bagdad berichtete. In hervorragendem, amerikanisch eingefärbtem Englisch beschrieb er den Alltag in der irakischen Hauptstadt zu Beginn des Kriegs. Zeitweise war die Website kaum zu erreichen, weil sich tausende von Internetsurfern auf die scheinbar einzige authentische Stimme der Angegriffenen stürzten, dann brach die Berichterstattung ab. Der letzte Eintrag auf dear_raed.blogspot.com stammt vom 24. März. Ob der anonyme Schreiber Opfer der Bombardierung geworden ist oder er einfach keinen unkontrollierten Zugang zum Internet mehr hat, ist nicht bekannt.