Ausflockende Erkenntnisse

Übersichtlich und fesselnd, das waren sie nicht, die Mainzer Tage der Fernsehkritik, bei denen über die Medienkrise diskutiert wurde. Dennoch konnte man mehr mitnehmen als bloß einen ZDF-Kuli

von CHRISTOPH SCHULTHEIS

Was haben ein verkniffen dreinschauender Rupert Murdoch, ein schlitzäugiger, irgendwie hochnäsiger Berlusconi und natürlich Leo Kirch, wie er sich betrübt die Haare rauft, gemeinsam? Genau: Gruppiert um eine ins Bodenlose weisende, rote Zickzackkurve dienten überlebensgroße Konterfeis der drei Mogule als Illustration für die 36. Mainzer Tage der Fernsehkritik.

Schließlich befasste sich die jährliche ZDF-Veranstaltung Anfang dieser Woche mit der „Krise des Medienmarktes“. „Und wer bislang dachte, das ist hier ja nicht gerade eine flockige Veranstaltung, der sei versichert: Es wird auch nicht flockiger werden“, versprach der Tagungsmoderator Thomas Kausch gleich zu Beginn. Und hätte Kausch stattdessen behauptet, es würde nicht klarer, übersichtlicher, fesselnder werden – er hätte ebenfalls Recht behalten.

Am Ende aber hat man dann doch mehr vom Mainzer Lerchenberg mitnehmen können als nur einen neuen ZDF-Kuli – nämlich …

Zehn Erkenntnisse:

1. Der Medienexperte Lutz Hachmeister trug einen neuen (?), sehr hellen Sommeranzug. Der Publizist Jürgen Busche fehlte unentschuldigt. Und der RTL-Chefredakteur Hans Mahr hatte wegen eines Skiunfalls die rechte Hand eingegipst.

2. Nicht einmal zehn Prozent der rund 40 Podiumsteilnehmer waren Frauen.

3. „Krise“, so hatte ZDF-Intendant Markus Schächter für seine Eröffnungsrede nachgeschlagen, „bedeutet im ursprünglichen Wortsinn eine Situation, in der sich etwas ‚scheidet‘, ‚unterscheidet‘, ‚entscheidet‘“.

Krise aus Überfluss

4. „Eine Krise“, ergänzte Germanist Jochen Horisch, „entsteht eigentlich aus Mangel. Aber hier hat man den Eindruck, es ist eine Krise aus Überfluss.“

5. Immer dann, wenn es um die wirtschaftliche Situation auf dem Fernsehmarkt ging, war schnell die Rede vom „Jammern auf hohem Niveau“. Auffällig schnell sogar.

6. Immer dann, wenn es um die wirtschaftliche Situation auf dem Zeitungsmarkt ging, wurde es aufschlussreich. Weil einerseits die Chefredakteure von Süddeutscher Zeitung und Frankfurter Rundschau (Sie wissen schon: Die eine hat gerade eben ihren NRW-Regionalteil abgeschafft, die andere verhandelt derzeit mit Roland Koch über eine Landesbürgschaft …) und andererseits Michael Grabner vom Holtzbrinck-Verlag (Sie wissen schon: Das ist der Verlag, dem das Kartellamt nicht gestatten will, in Berlin den Tagesspiegel und die frisch hinzugekaufte Berliner Zeitung herauszugeben, weshalb nun vielleicht ein unter anderem mit Politikern besetztes Stiftungsgremium die journalistische Unabhängigkeit der beiden Zeitungen kontrollieren soll …) auf dem Podium saßen, wurden hier sogar Perspektiven erkennbar: Nicht zuletzt mit dem Hinweis darauf, dass beispielsweise ein Reporter in Bagdad täglich 600 Euro kostet, sagte SZ-Chef Hans Werner Kilz: „Wir werden nicht umhinkommen, die Zeitungen teurer zu machen.“ FR-Chef Wolfgang Storz drohte, wenn er wollte, könnte er seine Zeitung „binnen einem Jahr rentabel machen“ – unter Verzicht auf Anspruch, Qualität und Überregionalität, versteht sich.

Billig is’ goanix!

Holtzbrincks Vizechef Grabner hingegen gab sich betont gelassen: „Wissen S’: Billig is’ im Journalismus goanix!“, sagte er und verneinte jedwede Ambition, auf dem Markt der überregionalen Tageszeitungen mitzumischen. „Lassen S’ uns doch einfach bessere Produkte machen!“, fügte Grabner noch hinzu und erklärte auch, was er damit meint: noch lokalere Lokalzeitungen nämlich mit „mehr Erklärstrecken, mehr Service, mehr Gesundheit, mehr Familie, weg vom Jugendwahn“ (womit sich immerhin auch ein Hinweis auf jenen leicht eingeschnappten Vortrag über depressive Tulpen und Mumm-Sekt-Werbung von Ex-FAZ-Shootingstar Florian Illies erübrigt).

Überlebt die „FAZ“?

7. Apropos FAZ: Auch für Deutschlands überregionalste Qualitätszeitung gab es in Mainz ein Fazit. Sie überlebt die Krise nicht – oder überlebt sie wahlweise als einzige. Woran übrigens nicht die Werbeindustrie schuld sein wird, die nämlich lieber auch nach 20 Uhr in ARD und ZDF werben möchte als irgendwelche Zeitungen retten.

8. Gesprächsnotiz beim Abendessen: „Ja, hallo! Sag mal, bist du noch bei der Süddeutschen?“

9. ZDF-Chef Schächter wusste übrigens auch, warum das alles ausgerechnet auf einer Fernsehkritik-Tagung verhandelt wurde. denn, „meine Damen und Herren, ‚Krise‘ und ‚Kritik‘ gehen auf den gleichen Wortstamm zurück.“

10. Und der Tagungskaffee war erstaunlicherweise gar nicht dünner als sonst.