„Rebellion funktioniert nicht mehr“

Das Rock-Duo The White Stripes setzt auf Selbstbeschränkung: Ein Gespräch mit Jack und Meg White über ihren Konservatismus und die Verweigerung vor dem musikalischen Fortschritt, Konzepte der Coolness sowie die drei Farben Rot, Weiß und Schwarz

Interview MICHAEL TSCHERNEK

Stimmt es, dass der Ursprung Ihres Bandnamens auf ein amerikanisches Pfefferminzbonbon zurückgeht, das rot-weiß gestreift ist?

Meg White: Ja, in den USA ist das ein Klassiker.

Jack White: Damals, als wir die Band gegründet haben, waren wir auf alles fixiert, was kindisch ist. Dann haben wir uns überlegt, dieses Candy-Design auf Megs Schlagzeug zu übertragen, weil sie wie ein Kind darauf eingeschlagen hat. Daraus entwickelte sich dann eine visuelle Ästhetik, die genau dem entsprach, was wir mit der Musik im Auge hatten. Drei Farben: Rot, Weiß und Schwarz.

Und warum schwarz?

Jack White: Alles dreht sich bei uns um die Zahl Drei. Dabei steht Schwarz vor allem im Kontrast zu Rot und Weiß: Als Abwesenheit von Farbe. Das Rot symbolisiert Zorn und Bewegung, das Weiß steht für Unschuld und Feingefühl.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen diesen Farben und dem Blues?

Jack White: Ja, wenn man auf die Einfachheit des Ausdrucks abstellt und den Blues aufbricht in die drei Komponenten Storytelling, Melodie und Rhythmus. Mit diesen drei Komponenten bildet der Blues den Höhepunkt.

Und wie ist das mit dem White Boy und dem White Girl, die schwarze Musik machen?

Jack White: Oh, das ist eine lange Diskussion. Wir bräuchten mindestens eine weitere Stunde, um darüber zu sprechen (lacht).

Ihre Farbenlehre wird von den meisten Leuten bestimmt als reines Image-Ding wahrgenommen.

Jack White: Ja, aber wer sich näher damit auseinandersetzt, wird erkennen, dass da mehr dahinter steckt. Wir haben nie irgendetwas einzig und allein aus dem Grund gemacht, um cool auszusehen oder cool zu klingen.

Trotzdem hat der britische NME die White Stripes kürzlich an die Spitze seiner „Liste der Coolen“ gesetzt. Wie erklären Sie sich das?

Jack White: Offenbar ist es mir gelungen, sie zu täuschen!

Der NME hebt hervor, dass Sie Ihre Zigaretten im Ärmel Ihres T-Shirts aufbewahren und es ablehnen, ein Mobiltelefon zu besitzen.

Jack White: Ich schränke mich eben gern ein. Und was das Mobiltelefon angeht: Einerseits will ich nicht immer so ein Teil mit mir herumtragen. Andererseits habe ich das Gefühl, dass Mobiltelefon die unmittelbare Kommunikation zwischen den Menschen zerstört.

Diese Gesellschaften denken sich ständig neue Produkte aus und versuchen, dich davon zu überzeugen, dass du ohne ihre Produkte nicht leben kannst. Aber was nützt uns das ganze Zeug wirklich? Diese Zivilisation hat doch schon funktioniert, lange bevor es Mobiltelefone gab!

Sie sehen darin also keinen Fortschritt?

Jack White: Ich denke eher, dass Mobiltelefone und das Internet zur Zerstörung von Kulturen beitragen. Die gesamte Welt scheint sich mehr und mehr auf einen kulturellen Nenner zu einigen. Wenn du in Deutschland ein Einkaufszentrum besuchst, dann sieht das genauso aus, wie ein Einkaufszentrum in Los Angeles. Wenn ich nach Deutschland komme, dann will ich eine deutsche Kultur erleben, die sich eigenständig zum Ausdruck bringt und stolz darauf ist. Ich will nicht hierher kommen, um festzustellen, dass es hier genau so wie in Amerika ist.

Sollten Deutsche Ihrer Meinung nach also lieber deutsche als amerikanische Bands wie die White Stripes hören?

Jack White: Nein, denn in dem Fall nutzt man ja lediglich die Möglichkeit, etwas über eine andere Kultur zu erfahren.

Meg White: Ich habe gerade ein Buch gelesen, in dem das Fernsehen als Hauptursache der Auslöschung von Kulturen auf unserem Planeten genannt wird. Das finde ich sehr interessant. Wie können wir alle gleichmachen? Wie können wir dafür sorgen, dass wir alle nach denselben materiellen Dingen streben, dass wir alle dieselben Kleider tragen und so weiter?

Hinzu kommt, dass diese globale Kultur, die da über das Fernsehen an uns verkauft werden soll, von den Leuten bestimmt wird, die an der Macht sind.

Jack White: In Amerika gibt es derzeit ein paar MTV-Shows, die ich ganz besonders schrecklich finde, mit Titeln wie: How to be a Rockstar. How to be a Player. Die Schlagwörter stammen häufig aus der HipHop-Kultur. Und in diesen Shows besuchen sie die Häuser von Rapstars und zeigen, in welchem Exzess diese Leute leben. Die besitzen nicht ein Auto, sondern neun, sie leben in gigantischen Anwesen, und da liegen dann die Bikini-Girls in den Hot Tubs. Diese Sachen präsentieren sie den Kids in diesen Shows und erklären damit: Das ist die ultimative Lebensweise. Das ist die höchste Stufe, die du als Mensch erreichen kannst.

Bedauern Sie also den Verlust bestimmter Werte?

Jack White: Ich denke ja. Heute ist zum Beispiel Religion ziemlich unpopulär, die früher eine Klammer für Familien und Gemeinschaften gebildet hat.

Und früher waren auch die Rollen von Frauen und Männern, von Eltern und Kindern weitaus klarer definiert. Im Laufe der Zeit haben Leute versucht, dagegen zu rebellieren. Aber es gibt bestimmte natürliche Instinkte, die gerade die männliche oder weibliche Persönlichkeit betreffen. Frauen können gebären, Männer nicht, das ist einfach eine natürliche Tatsache. Ich will dazu Gedankenanstöße geben, denn ich glaube, dass die Leute sehr verwirrt über die Frage sind, wie viel von der damaligen Lebensform richtig oder falsch war.

Das klingt jetzt ausgesprochen konservativ …

Jack White: Nun, es mag unpopulär sein, sich konservativ und altmodisch zu verhalten. Heute dagegen ist es populär, seinen Körper mit Piercings und Tätowierung zu überdecken, um zu rebellieren.

Ging es denn beim Rock nicht immer um Rebellion?

Jack White: Ja, aber das Konzept der Rebellion funktioniert meiner Meinung nicht mehr in Amerika, denn es gibt nichts mehr, wogegen man rebellieren könnte. Wenn alle Verhaltensformen von den Eltern und der Gemeinschaft akzeptiert werden, dann kannst du nicht mehr rebellieren. Die Leute sind nicht mehr geschockt, wenn sie jemand im Einkaufszentrum begegnen, der wie Marilyn Manson gekleidet ist. Gegen wen rebelliert diese Person dann noch?

Setzen Sie mit den White Stripes deswegen auf eine Philosophie der Einfachheit und Selbstbeschränkung?

Jack White: Wir haben uns von Anfang an gewisse Restriktionen auferlegt, darunter auch die Beschränkung auf die drei Elemente Stimme, Gitarre und Schlagzeug. Wenn wir aus dieser Form ausbrechen würden, dann wären wir nicht mehr kreativ – wir würden lediglich in diesen Fluss der Exzesse springen und uns immer weiter von dem entfernen, was wir ursprünglich machen wollten. Aber wir werden nicht plötzlich wie irgendeine Glam-Band oder wie Frösche auf der Bühne herumhüpfen. Die White Stripes werden immer diese beherrschte Sache sein!

Die Aufnahmen für Ihr neues Album „Elephant“ fanden in einem kleinen Londoner Studio statt, das ausschließlich mit antiquierten analogen Geräten ausgestattet ist …

Meg White: Ja, darin befindet sich kein Gerät, das nach 1965 gebaut worden ist.

Existieren derartige Studios nicht auch in den USA?

Jack White: Doch. Aber in diesen Studios haben sie meist auch zusätzlich Computer und digitale Effektgeräte jeglicher Art.

Und die bloße Gegenwart dieser Geräte stört Sie schon?

Jack White: Wenn du den Leuten in diesen Studios erklärst, dass du alles analog aufnehmen und das Ganze auf Band schneiden willst, dann kommen die dir so (mit einer Nerd-Stimme): „Okay, das könnten wir natürlich so machen, aber ich habe hier auch einen Computer, und damit könnten wir das zehnmal so schnell erledigen.“

Dann streitest du dich eine Zeitlang mit denen oder gibst irgendwann nach. Ihr Einwand lautet (wieder mit der Nerd-Stimme): „Nun, das ist aber genau dasselbe. Das ist nur ein Werkzeug, das ich verwende, um mir die Arbeit zu erleichtern.“ Deswegen war die Existenz dieses Studios in London ein wahrer Segen für uns.

Werden Sie häufig bedrängt, Ihre Produktionsweise zu modernisieren?

Jack White: Es gibt andauernd irgendwelche Leute, die uns fragen, ob wir nicht einen Bassisten engagieren wollten. Sie sagen: „Wollt ihr eure Songs nicht mit einem Streichorchester untermalen? Wollt ihr nicht ein paar Tänzer mit auf die Bühne nehmen?“

Ich frage mich, ob sie das auch bei den Strokes so gemacht haben. Ich vermute, dass wir nur deshalb so sehr bedrängt werden, weil wir bloß zu zweit sind. Sie wollen unbedingt einen Fortschritt sehen, während wir sie voll ausbremsen und sagen: Nein, mit dieser Band wird es keine Entwicklung geben!

Meg White: Ich meine, wenn wir einen Bassisten gewollt hätten, hätten wir auch mit einem begonnen. Es ist ja nicht gerade so, dass es einen Mangel an Bassisten geben würde (lacht).

Zum Schluss noch die Frage: Was ist Ihre Bruder-&-Schwester-Lieblingsband?

Jack White: The Carpenters.

Und wie sieht das mit Ehepaar-Gruppen aus?

Jack White: Ich mag die Songs, die Blind Willie McTell mit seiner Frau aufgenomen hat. Und Charley Patton hat auch gute Songs mit seiner Frau aufgenommen.