Viele singen Friedenslieder

Fast alle sind gegen den Krieg. Unterstellungen werden dennoch ausgetauscht. „Big Brother“ erinnert an Somalia

Der Krieg scheint schnell zu gehen. So zappt man sich weiter durch die Kriegskanäle, als sei es entscheidend, live via TV dabeigewesen zu sein. Das Fernsehen deckt das Bedürfnis nach Authentizität.

Die Live-Berichterstattung vermittelt, ein Tor liege in der Luft, wenn der Reporter ganz aufgeregt ist und sich plötzlich wegduckt, weil in der Nähe Bomben explodieren. In der Mitte von „ran“ gibt es Nachrichten, und der Sprecher sagt am Ende, dass die Fußballbundesliga-Sendung natürlich unterbrochen werde, sollte sich in der Zwischenzeit etwas Entscheidendes tun.

Wahrscheinlich wird sich aber nie etwas Entscheidendes tun, das sich als Höhe- und Endpunkt abbilden ließe im Sinne einer filmischen Dramaturgie. Die verlangt nach dem Einzelschicksal, nach der befreiten Soldatin etwa, über die erleichtert berichtet wird, nicht nach dem Tod von tausend irakischen Soldaten, der beiläufig vermeldet wird. Daran, dass in dem Panzer, der auf dem Bildschirm brennt, Menschen sind, kann man denken, vorstellen kann man es sich nicht.

Und es geht weiter mit unterschiedlichen Bildern und Kommentaren und Militärs, die einem Strategien erklären. Die Reporter sind einem mittlerweile vertraut geworden. Die Talk-Shows (ganz großartig zuweilen „Hardtalk“ auf BBC, wenn Franzosen auf Amerikaner treffen) wechseln die Besetzung und werden häufig wiederholt. Die Kriegsgegner versäumen nie, vor den Krieg ein „völkerrechtswidrig“ und „Angriffs-“ zu setzen, während die Befürworter des Krieges dafür plädieren, das Völkerrecht dann eben zu ändern.

Wie gehabt und wie wohl in allen Grundsatzdebatten wird oft wider besseres Wissen und mit Unterstellungen argumentiert: Wer den Krieg ablehnt, dem sind Saddam Husseins Opfer egal; insgeheim würden sich Kriegsgegner einen langen und für die Amerikaner verlustreichen Krieg wünschen, damit sich ihre Vorhersagen bewahrheiten. Zwischenfrage an die Rednerin Heidemarie Wieczorek-Zeul: Sie solle laut und deutlich erklären, wem sie den Sieg wünsche.

Achtzig Prozent der Deutschen sind gegen den Krieg. Die Berichterstattung in den deutschen Medien spiegelt dieses Dagegensein durchaus wider. Amerikakritische Berichte, die, wenn die Unsrigen mitmachen würden, vermutlich nur bei „Monitor“ zu sehen wären, gibt es nun häufig direkt nach den Nachrichten. Manchmal hat es schon etwas Absurdes, wenn im „Brennpunkt“ ein Bericht kommt über George W. Bush als fundamentalistischen Glaubenskrieger und ein ganz ähnlicher mit gleichem Bildmaterial bei „Monitor“ eine Viertelstunde später.

Dass in einer Wohnung über einer Kreuzberger Eckkneipe plötzlich eine Deutschlandfahne hängt, ist möglicherweise als rechtssubversiver Beifall für die Politik der Bundesregierung zu verstehen. Auf ein Plakat ein paar Meter weiter hatte ein türkisch- oder arabischstämmiger Jugendlicher geschrieben: „Big Boss (= Saddam) is Opfer“, was ja so viel wie „Warmduscher“ bedeutet.

Es ist unklar, was es bedeutet, gegen den Krieg zu sein, der sich nicht stoppen lässt – eher so wie Gerhard Schröder oder so wie Arundhati Roy, deren großer Antikriegstext vor ein paar Tagen zeitgleich im Guardian und in der FAZ erschien.

Den jungen Demonstranten, die die Schule schwänzen, um zur Demo zu gehen, wird mit gewöhnlich leicht paternalistischem Wohlwollen begegnet. Artikel über Friedensschüler beginnen meist mit der Pisa-Studie. Dann heißt es: Das Antikriegsengagement zeigt, dass die Jugend gar nicht so blöd sei, so als hätten die Ergebnisse der Pisa-Studie beziehungsweise die Kriegsgegnerschaft irgendetwas mit Intelligenz zu tun.

Andererseits haben in der Frankfurter Rundschau veröffentlichte Untersuchungen ergeben, dass die meisten jungen Antikriegsdemonstranten aufs Gymnasium gehen und eher links sind. Von ihrer sozialen Zusammensetzung unterscheidet sich diese Protestbewegung nicht weiter von vorhergegangenen. Ihr blieb und bleibt wohl nur weniger Zeit, sich zu festigen.

Viele Popstars singen Friedenslieder und beeilen sich zu versichern, dass sich ihre Songs nicht konkret gegen diesen Krieg richten würden, sondern eher so einer allgemeinen Friedenssehnsucht Ausdruck geben würden. Dazu passt, dass Edwin Starr, der Sänger eines der kraftvollsten Antikriegslieder der Popgeschichte, vor ein paar Tagen starb: „War – what is it good for / for absolutely nothing, say it again“.

Der Krieg geht weiter und wird irgendwann enden. Da sitzen wir nun dumm vor unserem Fernseher, und zwischendurch wendet noch jemand ein, es sei ja nun äußerst makaber und geschmacklos, die neue „Big Brother“-Staffel „The Battle“ zu nennen. In der neuen „Big Brother“-Staffel wird über den aktuellen Krieg nicht gesprochen. Stattdessen erzählt eine aus Somalia stammende Bewohnerin vor dem Schlafengehen, wie sie als Kind den Krieg erlebt hat. DETLEF KUHLBRODT