Ethnische Säuberung im Kongo

UNO spricht von 966 Toten beim größten Massaker des Kongokrieges. Die Hinrichtungen in der nordöstlichen Region Ituri kommen pünktlich zum In-Kraft-Treten einer Friedensordnung und nähren Ängste vor einem ruandisch-ugandischen Krieg

von DOMINIC JOHNSON

Es war ein koordinierter Angriff aus allen Himmelsrichtungen, und unter den Tätern waren auch Frauen und Kinder. Um 5 Uhr früh am vergangenen Donnerstag rückten sie in das nordostkongolesische Drodro ein und begannen pünktlich auf das Kommando einer Trillerpfeife mit dem Morden. Drei Stunden später waren hunderte von Zivilisten tot, und die Angreifer verzogen sich so plötzlich, wie sie gekommen waren.

So schilderten Überlebende am Wochenende gegenüber einem UN-Team den Ablauf des nach UN-Einschätzung bisher größten einzelnen Massakers im Krieg der Demokratischen Republik Kongo. „Nach Listen der Dorfchefs wurden in der Gemeinde Drodro und 14 umliegenden Dörfern 966 Menschen summarisch hingerichtet“, erklärte die UN-Mission im Kongo am Sonntag. „Zwanzig Massengräber, zu erkennen durch noch frisches Blut und Kleidung der Opfer, wurden dem Team von Überlebenden gezeigt, die angaben, dort etwa 250 Leichen begraben zu haben.“

Zur Identität der Täter will sich die UNO noch nicht festlegen, aber die von ihr gelieferten Indizien erscheinen eindeutig. Die Angreifer sprachen laut Augenzeugenberichten Kilendu, die Sprache der Lendu-Ethnie. Die Opfer gehörten der Ethnie der Hema an. In diesem Teil des Kongo, dem Distrikt Ituri, sind Lendu und Hema seit 1999 in einen ethnischen Vernichtungskrieg verwickelt, der bislang 50.000 Tote gefordert und 500.000 Vertriebene produziert hat.

Drodro ist traditionelles Hema-Siedlungsgebiet und bot in den letzten Jahren mit seinem kirchlichen Krankenhaus Zuflucht für zahlreiche vertriebene Hema. Seit die Gold- und Ölvorkommen Ituris internationales Interesse wecken, hat sich dieser ethnische Konflikt in Kongos größeren Machtkampf eingefügt. Teile der in der Region stationierten Armee Ugandas und die Regierung des kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila unterstützen Lendu-Milizen. Führende Hema haben sich demgegenüber in der Union Kongolesischer Patrioten (UPC) zusammengeschlossen, die von Ruanda und der größten kongolesischen Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie) unterstützt wird.

Am 6. März vejagte Ugandas Armee die UPC aus Ituris Hauptstadt Bunia und ist seitdem zusammen mit Lendu-Gruppen auf der Suche nach der UPC-Führung. Dabei kommt es offenbar öfter zu Massakern. Die ugandische Armee hat den Tod von über 400 Menschen im Ort Largu, vermuteter Zufluchtsort von UPC-Chef Thomas Lubanga, nahe Drodro am 1. und 2. April bestätigt und nennt für die neuesten Ereignisse von Drodro die Zahl von 350 bis 400 Toten. Beide Male sei sie zu spät gekommen, um die Lendu-Milizen am Töten zu hindern, so die offizielle Linie.

Die Lendu-Milizen sind mit lokalen Verbündeten Kabilas im Ostkongo liiert, von denen sie militärische Unterstützung erhalten. Im Gegenzug starteten Ruandas Armee und die RCD Ende März eine Offensive in der Region.

International wächst jetzt die Sorge, dass daraus ein größerer Krieg zwischen Ruanda und Uganda entstehen könnte. Am vergangenen Wochenende behauptete Ugandas Armeeführung, 3.000 ruandische Soldaten und 600 ugandische Rebellen stünden angriffsbereit im Kongo, „vier bis zehn Kilometer entfernt von der ugandisch-kongolesischen Grenze“.

Während im Ostkongo gemordet wird, bricht 2.000 Kilometer weiter westlich in der Hauptstadt Kinshasa Frieden aus. Am Freitag trat dort offiziell die in Südafrika vereinbarte neue Übergangsverfassung für den Kongo in Kraft, und gestern sollte Joseph Kabila auf sie einen neuen Amtseid schwören. Unter Vorsitz von Kabilas Menschenrechtsminister und mit ugandischem Militärschutz tagt außerdem seit Samstag in Bunia eine Ituri-Befriedungskommission. Wohl eher ein schlechter Witz.

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