ein arabisches tv-tagebuch
: Sélim Nassib über den Irakkrieg auf al-Dschasira

Der Wandel im Tonfall

Mit einem Fußtritt stößt ein US-Soldat das Tor eines kleinen Gartens in einem Vorort von Bagdad auf. Seine schwer bewaffneten Kameraden dringen sofort ein. Alle Maschinengewehre sind auf die Tür des bescheidenen Hauses gerichtet.

Ein bärtiger Mann in den Vierzigern in langem Gewand, einer Djellabah, erscheint mit erhobenen Armen. Seine Frau und seine drei Kinder treten nach ihm heraus und müssen sich auf den Rasen setzen. Die Kinder strecken ihre Arme in die Höhe und können kaum ihre Tränen zurückhalten.

„Die irakische Bevölkerung hat zweimal bezahlt“, sagt der Kommentator von al-Dschasira. „Sie musste unter einem Regime leiden, das sie sich nicht ausgesucht hat und das einige als großes Gefängnis beschreiben. Jetzt leidet sie unter den Bomben ihrer ‚Befreier‘ und ist dazu verdammt, sogar um Wasser bei den Besatzungstruppen zu betteln.“ Nachdem al-Dschasira seine Kraftprobe mit den irakischen Verantwortlichen gewonnen hat, hat sich sein Tonfall in bemerkenswerter Weise verändert. Der Sender steht immer noch an der Seite der Zivilbevölkerung und nährt die Identifikation der arabischen Welt mit ihr. Aber die Vorwürfe gegen das Regime von Saddam werden jeden Tag deutlicher.

Der irakische Informationsminister erscheint in den verwüsteten Straßen der Hauptstadt, umringt von einer Horde Journalisten und einigen bewaffneten Männern, die Slogans für Saddam rufen. Er dementiert mit Nachdruck, dass sein Ministerium, das Hotel Al-Rachid ihm gegenüber sowie drei Präsidentenpaläste von den amerikanischen Truppen besetzt worden seien. „Ich werfe al-Dschasira vor, dass sie diese neuen Behauptungen zu bestätigen scheinen“, entrüstet er sich. Der Journalist des Senders reagiert nicht. Aber in den folgenden Minuten tauchen auf dem Bildschirm Bilder von amerikanischen Soldaten im Inneren eines der Präsidentenpaläste auf.

Andere Bilder zeigen Kämpfe in der Hauptstadt, an den Ufern des Tigris. „Invasionstruppen wurden in der Umgebung des Informationsministeriums gesichtet“, präzisiert der Kommentator, „aber es ist wahr, dass sie das Ministerium nicht eingenommen haben.“ Die arabischen Fernsehzuschauer sehen die sandfarbenen Panzer durch die Straßen Basras patrouillieren, „dessen größten Teil britische Streitkräfte kontrollieren“. Sie sehen einen Wagen von al-Dschasira, von Kugeln durchsiebt – mit einem Journalisten, der erklärt, „wie die US-Soldaten ihn zur Zielscheibe gemacht haben, nachdem sie ihn kontrolliert haben“.

Sie sehen eine Zivilbevölkerung, die den Schrecken des Krieges ausgesetzt ist, aber auch von einem gnadenlosen Regime geknebelt wird. Die arabische Welt – selbst weniger blutigen, aber dem Wesen nach ähnlichen Regimes ausgesetzt – lernt damit jene Nuancen kennen, die zeigen, dass allein die Solidarität gegen die Aggressoren kein glaubwürdiges Raster der Wahrnehmung mehr sein kann. SÉLIM NASSIB

Sélim Nassib begleitet in seiner Kolumne die Berichterstattung des arabischen TV-Senders al-Dschasira