letzte ausfahrt brooklyn
: Der Graffitikrieg auf New Yorks Williamsburg Bridge

Bush is the greatest

Zusammen mit dem Irakkrieg hat in New York der Frühling begonnen. Die Blätter der Bäume sprießen zwar noch nicht, aber wenn die Sonne scheint, füllen sich die Gehwege des Brooklyner Stadtteils Williamsburg mit Joggern. Williamsburg hat zwar keinen Park, dafür aber eine der drei Brücken, die Brooklyn mit Manhattan verbinden, die Williamsburg Bridge. Auf dieser Brücke tobt seit Tagen ein bizarrer Krieg. Ein Krieg, der im Schutz der Dunkelheit geführt wird, der gewisse Vorsichtsmaßnahmen erfordert und dessen Frontverlauf sich von Tag zu Tag ändert: Es ist der Graffitikrieg zwischen Peaceniks und Irakkrieg-Befürwortern.

Es begann relativ harmlos mit kleinen Parolen, die per Filzstift auf die Stahlträger geschrieben worden waren: „Peace Now!“, „The american people want peace“ und „Fight the rich not their wars“. Dann tauchte das enigmatische „2004 = Explosion“ auf, von dem man nicht so recht wusste, ob es sich auf die kommenden Präsidentschaftswahlen bezog oder ganz etwas anderes bedeutet. Doch als ein paar Tage später jemand „George Bush is insane“ an das Gelände des Fußgängerwegs schrieb, schien es den patriotischen Brückengängern zu reichen. Der Satz wurde in „George Bush is the greatest“ verändert. Am nächsten Tag hatte ihn aber wieder jemand in „George Bush is a murderer“ zurückverwandelt.

Das wollten die Kriegsbefürworter nicht auf sich beruhen lassen und in einer groß angelegten Aktion schrieben sie in einer Nacht „Nuke them filthy iraqi bastards!“ und „Kill all Iraqis and all homos!“ daneben. Damit auch jeder versteht, worum es geht, folgte in der Nacht darauf noch ein: „Saddam should blow up the next peace rally! Maybe this will change your mind! Pink Commi Bastards!“ Letzteres ist mittlerweile übermalt, wahrscheinlich widersetzte es sich der Umwandlung in eine etwas friedliebendere Parole.

Daraufhin schrieben Peaceniks einen längeren Text darüber, dass Krieg keine Lösung sein darf, auf eine große Pappschachtel, die einmal die Verpackung eines Bügelbretts gewesen war, und stülpten sie über ein Straßenschild. Am nächsten Tag lag die Schachtel zerrissen in einem Mülleimer.

An das große „God bless the american troops!“, das am Eingang der Brücke zur Manhattanseite prangt, hat sich noch niemand herangewagt. Man weiß es ja auch nicht recht zu kontextualisieren. Seit sich die Antikriegsbewegung des US-Patriotismus bemächtigt hat und man auf den Demonstrationen mehr und mehr amerikanische Fahnen zu sehen bekommt, könnte dieser Spruch ja auch eine Variation der unter Kriegsgegnern so beliebten Parole „We love our troops, bring them home now!“ sein.

Nun ist die Williamsburg Bridge aber nicht nur Schauplatz semiotischer Scharmützel, auf ihr wird auch der wirkliche War On Terror geführt, denn als Brücke wird sie natürlich als ein potenzielles Anschlagsziel für Terroristen geführt und somit Tag und Nacht überwacht und geschützt. Jeder Lieferwagen, der nach Manhattan will, wird kontrolliert.

„Operation Atlas“ nennt sich dieses Brücken-, Bahnhöfe-, Flughäfen- und Regierungsgebäudeschutzprogramm leicht größenwahnsinnig. Aber, hey!, ist New York nicht die Hauptstadt der Welt und muss sie in dieser Funktion nicht die Hauptlast der ganzen Unbill tragen, die ebenjene Welt auf Amerika herabgesenkt hat? Haben nicht Terroristen das World Trade Center zum Einsturz gebracht? Könnte mit der Williamsburg Bridge nicht das Gleiche passieren? Und hätte das dann etwa keine Auswirkungen auf den Rest der Welt?

Fünf Millionen Dollar kostet „Operation Atlas“ jede Woche, nicht nur die Brücken werden kontrolliert, in jedem U-Bahn-Hof stehen mehrere Polizisten und durch die Central Station patrouillieren State Trooper in voller Uniform und tragen Maschinenpistolen mit sich herum. Zwischenfälle gab es allerdings noch keine. So irre diese Logik ist, man kann sich ihr kaum entziehen. Während man über die Brücke trabt, fängt man selbst schon an, nach verdächtigen Veränderungen zu suchen: Hing dieses Verlängerungskabel gestern auch schon von dem Stahlträger herunter? Was mag das überhaupt für eine Leitung sein? Wofür gibt es hier in vierzig Metern Höhe über dem Wasser überhaupt Verlängerungskabel?

Ganz ähnlich wird sich auch jener Jogger gefühlt haben, der vor einigen Tagen verdächtige Gestalten bemerkte, die sich auf der Brücke zu schaffen machten, und die Polizei verständigte. Sofort wurde die Brücke gesperrt, Sicherheitskräfte rückten an, Hubschrauber begannen über der Brücke zu kreisen, der Verkehr wurde weiträumig umgeleitet, die Weltpresse hielt den Atem an. Es war ein Gefühl wie im vergangenen Sommer, als ein E-Werk am East River explodierte und man halb erschrocken, halb aufgeregt in Richtung der aufsteigenden Rauchsäule schaute, während am blauen Himmel Kampfflugzeuge sichtbar wurden. Geht es jetzt wieder los?

Doch genau wie jene Explosion schlichter Überlastung geschuldet war, stellte sich eine Stunde später heraus, dass es sich bei den verdächtigen Gestalten nur um drei Alkis gehandelt hatte, die über eine Absperrung geklettert waren, um hoch über dem East River ihr Morgenbier zu trinken. TOBIAS RAPP