Der Moment, wenn alles getan ist

Amerikanische Soldaten in Saddam Husseins Palast – doch der Krieg hält den Atem an. Eine Bildbeschreibung

Bitte schauen Sie sich das Bild über diesem Artikel einen Augenblick an. Wenn Sie jetzt ein Dejá-vù erleben, funktioniert Ihr visuelles Gedächtnis richtig gut. Die taz druckte genau dieses Foto gestern auf ihrer ersten Seite schon einmal ab – genauso wie die Süddeutsche Zeitung, der Tagesspiegel und die Berliner Zeitung, um nur die großen Blätter zu erwähnen.

Es spricht also einiges dafür, dass man es hier mit einem Bild zu tun hat, das von diesem Krieg haften bleiben wird. Im Kollegenkreis wurden sogar Assoziationen mit den großen Ikonen der Kriegsfotografie ausgelöst: mit dem Rotarmisten, der auf dem Berliner Reichstag die rote Flagge hisst oder mit dem nackten Mädchen, das in Vietnam weinend auf die Kamera zuläuft. Dabei ist die Wirkung, die von diesem Schnappschuss im Präsidentenpalast von Bagdad ausgeht, gar nicht so leicht zu erklären.

Es ist ja gerade das Undramatische, das dieses Bild ausmacht. Keine heroischen Gesten, kein Pathos. Seltsam leise kommt es daher, bei allem imperialen Bengelgehabe, mit dem sich der Soldat in der Mitte in den Sessel fläzt. Wirkliche Propagandabilder sehen jedenfalls anders aus; dieses hat etwas Dokumentarisches, als hätte der Regisseur nach der eigentlichen Szene noch die Kamera laufen lassen, als erhalte man einen Einblick hinter die Kulissen eines Theaterstücks. So einen Augenblick hatte man von einem Krieg schlicht nicht erwartet.

Und doch kennt man natürlich diesen Moment, von unzähligen Werbespots wird er umspielt: Es ist der Moment, wenn alles getan ist, wenn die Anspannung nachlässt, wenn der Adrenalinspiegel fällt, wenn das Spiel gewonnen ist – dann zündet man sich eben erst mal eine Zigarette an. Doch, halt: Es ist ja gar kein Spiel! Die Gewehre sind echt. Und zumindest im Gesichtsausdruck des Soldaten rechts stehen noch Reste wirklicher Angst. So ist das Bild nicht richtig aufzulösen. Schon klar: Nur nicht unkritisch sein gegenüber „embedded“ Fotografen – aber man kann sich jedenfalls auch schlimmere Siegerposen vorstellen.

Und es gibt noch etwas: das Interieur. Hätte man sich so Saddams Palast von innen vorgestellt? Eher fühlt man sich in einen Raum aus dem 19. Jahrhundert versetzt in, sagen wir: einem britischen Landhaus. Amerikanische Soldaten stürmen den Palast des irakischen Diktators und treffen auf eine Szenerie aus dem guten Alten Europa! Irgendwo mobilisiert das Empörungspotenzial: unzivilisierte Eindringlinge! Fast aber will man auch schmunzeln wie über einen Bösenjungenstreich. Bis man dann wieder Nachrichten schaut.

Der Krieg hält auf diesem Foto von John Moore für einen Moment den Atem an. Dann geht er noch ein bisschen weiter. So ist das in diesen Tagen.

DIRK KNIPPHALS