Wie ein Schurke geboren wird

Weder in den USA noch im Nahen Osten galt Saddam Hussein als besonders gefährlich. Doch dann verstand dieser die US-Botschafterin in Bagdad falsch

von JÜRGEN GOTTSCHLICH

Nach dem Fall Bagdads stellt sich nun die Frage: „Wo ist Saddam Hussein?“ Lebt er noch, hat er sich in einem seiner vielen Bunker verkrochen, konnte er sich in seine Heimatstadt Tikrit absetzen? Einige wollen auch gesehen haben, wie er schwer verwundet nach Syrien gebracht wurde, wieder andere vermuten ihn in der russischen Botschaft, was in Moskau heftig bestritten wird.

Doch schon jetzt bereiten US-Offizielle die Öffentlichkeit darauf vor, dass Hussein vielleicht nie gefunden wird, einfach weil es unmöglich ist, seine Leiche zu identifizieren. „Wir haben weder ein Haar noch eine alte Zahnbürste und schon gar keine Blutprobe von Mr. Hussein“, sagte ein Sprecher der US-Regierung nach dem Fall Bagdads, „das war bislang auch nicht unsere Priorität.“

Genau dies wäre aber die Voraussetzung, um durch einen Gentest die Identität einer Leiche mit dem Diktator nachzuweisen. Möglich also, dass die Frage nach Saddam Husseins Verbleib die Weltpresse noch wochenlang beschäftigen wird. Doch selbst wenn es um Saddam Heimatstadt Tikrit noch heftige Kämpfe geben sollte – die Herrschaft seines Regimes ist durch den Einmarsch der US-Truppen in Bagdad definitiv beendet.

Damit gewinnen die Amerikaner nicht nur einen Krieg, sie verlieren auch einen überaus nützlichen Feind. Wie kaum ein anderer ließ sich der Mann mit dem Schnauzer, der martialische Auftritte liebte und auch schon mal eigenhändig vor laufenden Kameras mit einem Gewehr herumballerte, zu einer Gefahr für die westliche Welt stilisieren. Was ist schon ein Baschar Assad, Zahnarzt aus London und neuer Chef in Syrien, oder der blasse iranische Revolutionsführer Khamenei im Vergleich zu Saddam Hussein?

Dieser ließ es sich nie nehmen, auf die amerikanische Propaganda immer noch eins draufzusetzen, und hatte auch keine Probleme damit, aus der größten Niederlage noch die Mutter aller Siege zu machen. Damit schaffte er es zum Kultstatus auf arabischen Straßen und zum Dämonen in amerikanischen Kinderzimmern.

Dabei war „der brutalste Tyrann aller Zeiten“ – selbst vor einem Vergleich mit Adolf Hitler schreckten Rumsfeld & Co nicht zurück – nie eine wirkliche Gefahr für die Supermacht USA und schon gar nicht für den Weltfrieden. Bevor Bush und Rumsfeld ihn aus der Mottenkiste der Terroristen-Paten holten, gingen selbst leidgeprüfte Nachbarn wie Kuwait, Saudi-Arabien, die Türkei oder gar Jordanien davon aus, dass der Möchtegern-Führer der arabischen Welt dort längst seinen Einfluss verloren hatte. Gefährlich war er allein für die irakische Bevölkerung.

Zweifellos war Saddam Hussein jenseits aller Propaganda ein übler Despot. Vor allem für die Kurden war er ein Mann, der über Leichen ging, keinerlei Skrupel hatte und tausende, wenn nicht hunderttausende Menschen umbringen ließ. Um seine Macht zu sichern, wurden Dissidenten schon dann hingerichtet, wenn sie selbst noch nicht einmal wussten, ob sie überhaupt gegen den Diktator aktiv werden wollten. Dazu kamen fast eine Million Tote, die der von ihm angezettelte Krieg gegen den Nachbarn Iran forderte.

Doch trotz alledem, seinen Aufstieg zum Weltschurken, seine Karriere als „Most wanted“ der amerikanischen Supermacht verdankte Saddam Hussein einem Missverständnis. Bis zum Sommer 1990 war Saddam Hussein einer von etlichen nahöstlichen Schurken, aber er war „einer von unseren Schurken“, wie es US-Außenpolitiker so treffend bezeichneten. Als der Diktator erkennen ließ, dass er die vermeintliche Schwäche der iranischen Armee nach der Revolution in dem Nachbarland zu einem kleinen Eroberungsfeldzug nutzen wollte, war man in Washington begeistert.

Mit Jimmy Carterund Ronald Reagan

Getreu dem Credo von Altmeister Henry Kissinger, „Geheimdienstaktionen sollten nicht mit Missionsarbeit verwechselt werden“, ermunterte der Sicherheitsberater des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski, Hussein persönlich zu seinem Vorstoß in den Iran, hoffte man in Washington doch, dadurch die Geiseln aus der Teheraner US-Botschaft freizubekommen, was Carter wahrscheinlich seine Wiederwahl gesichert hätte.

Doch Saddam Hussein kam mit dem Sturz Ajatollah Chomeinis nicht so schnell voran, und so bekamen Ronald Reagan und mit ihm sein Sonderbeauftragter Donald Rumsfeld Gelegenheit, Saddam an ihre Brust zu drücken.

Im Dezember 1983 reiste Donald Rumsfeld im Auftrag des Präsidenten nach Bagdad und traf dort sowohl mit Außenminister Tarik Asis als auch mit Saddam Hussein zusammen. Der Krieg gegen den Iran war vom erhofften Eroberungsfeldzug längst zu einer existenziellen Abwehrschlacht für den Irak geworden, iranische Truppen standen im Süden und Norden des Landes vor dem Einmarsch. Um das zu verhindern, hatte Saddam mehrmals Giftgas einsetzen lassen, was die USA natürlich wussten. Rumsfeld störte das aber nicht weiter, er lobte den Diktator in seinem Bericht für das Weiße Haus als „dynamische Persönlichkeit mit großem Selbstvertrauen“.

Mit seinem Besuch bereitete Rumsfeld eine intensive US-Unterstützung der irakischen Armee vor. Angefangen bei Satellitenaufnahmen von iranischen Stellungen, Munition für die irakischen Bomber bis hin zur Ausbildung von irakischen Spezialtruppen lieferte der damalige CIA-Direktor William Casey alles an Bagdad. Die Unterstützung ging so weit, dass der Geheimdienst des Verteidigungsministeriums DIA in einem Bericht über den irakischen Giftgasangriff auf das kurdische Halabscha diesen den Iranern in die Schuhe schieben wollte.

Die Wende kam mit dem Missverständnis zwischen Saddam Hussein und der US-Botschafterin in Bagdad, April Glaspie. Als Hussein im August 1990 seine Truppen in Kuwait einmarschieren ließ, weil er aufgrund der Aussagen der US-Botschafterin annahm, Washington würde dieses Vorgehen tolerieren, schwenkte der damalige US-Präsident George Bush um.

Der wichtigste US-Verbündete im Nahen Osten, das saudische Königshaus, fürchtete, Saddam könnte nach Kuwait auch seine Ölfelder angreifen, und bat Bush deshalb, zu intervenieren. Daraufhin forderte der US-Präsident den irakischen Aggressor ultimativ zum Rückzug auf. In dieser Situation wurde der Weltschurke Saddam geboren.

Hussein und mit ihm der irakische Staat waren durch den langen verlustreichen Krieg gegen den Iran ökonomisch am Ende. Weil die reichen Golfstaaten ihm nicht helfen wollten, obwohl er doch nach seinem Verständnis auch in ihrem Interesse den Export der islamischen Revolution bekämpft hatte, schnappte er sich schließlich das reiche Kuwait, um damit das eigene Land wieder zu sanieren.

Gegen James Bakerund George Bush senior

Bis heute kann man nur spekulieren, was in den folgenden Wochen hinter den Kulissen gelaufen ist. US-Außenminister James Baker, der damals die Verhandlungen führte, war entweder nicht gewillt oder nicht in der Lage, Hussein ein Angebot zu machen, das es diesem erlaubt hätte, sich ohne allzu großen Gesichtsverlust aus Kuwait wieder zurückzuziehen. Dieses jedoch hatte er erwartet. Denn man kann wohl kaum annehmen, dass Saddam Hussein zwei Jahre nach dem verlustreichen Irankrieg ernsthaft glaubte, er könne den USA und ihren Alliierten militärisch etwas entgegensetzen.

Viel wahrscheinlicher ist: die „Mutter aller Schlachten“ wurde aus Verzweiflung geboren. Der irakische Despot musste sein Gesicht wahren, gegenüber seinen eigenen Anhängern und seiner Armee Stärke zeigen und deshalb darauf hoffen, sich auch bei einem Waffengang in Kuwait irgendwie noch aus der Affäre ziehen zu können.

Diktatoren sind nur so lange sicher, wie ihre Untergebenen an ihre Macht glauben. Getreu diesem Prinzip hat der seit seiner Niederlage in Kuwait angeschlagene Diktator in den folgenden zwölf Jahren regiert. Je schwächer er war, desto brutaler wurde sein Herrschaftssystem. Hatte Saddam Hussein vor seinem Angriff auf den Iran in den Siebzigerjahren noch versucht, sich die Loyalität der irakischen Bevölkerung auch durch den Aufbau eines Wohlfahrtssystems zu sichern, so blieb nach dem wirtschaftlichen Niedergang in Folge des Krieges gegen den Iran und dem militärischen Bankrott nach dem Kuwaitkrieg nur noch die nackte Repression.

Als Saddam 1998 die Waffeninspektoren endgültig des Landes verwies, war der Irak nur noch ein Schatten seiner selbst. Durch die Flugverbotszonen im Norden und Süden war die Souveränität stark eingeschränkt und die Öleinnahmen, die Quelle allen Reichtums, wurden von der UNO kontrolliert und verwaltet. Auch wenn es Hussein gelang, aus illegalen Ölverkäufen Schwarzgeld für neue Waffen zu beschaffen, eine wirkliche Bedrohung stellte seine Armee für die Außenwelt sicher nicht mehr dar. Saddams lautstarke Sprüche, seine Jerusalem-Armee, die er zur Unterstützung der palästinensischen Intifada aufstellen ließ, selbst die Schecks, die er den Familien palästinensischer Selbstmordattentäter zukommen ließ, das alles hatte mehr Operettenhaftes als wirklich Erschreckendes.

Genauso sah dies auch die neu ins Amt gekommene Administration von US-Präsident George W. Bush. Ein Jahr vor dem Terroranschlag auf das World Trade Center stellte Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice in einem Artikel für Foreign Affairs fest: „Saddam Husseins Regime ist isoliert, seine konventionelle Militärmacht wurde entscheidend geschwächt. Falls die Iraker und Nordkoreaner tatsächlich Massenvernichtungswaffen erwerben, werden sie diese nicht einsetzen können, weil jeder Versuch die Auslöschung ihres Landes nach sich ziehen würde. Das sind Regime auf Abruf. Kein Grund, bei ihrem Anblick in Panik zu verfallen.“

Dann kam der 11. September, und die weltpolitischen Karten wurden neu gemischt. Erst jetzt rückte Saddam Hussein, ohne dass er selbst noch etwas dazu getan hätte, definitiv in den Rang eines Weltschurken. Der Diktator, so hieß es jetzt in Washington, sei derjenige, der den islamischen Terroristen vom Schlage eines Usssama Bin Laden die Mittel an die Hand geben könnte, ihren Schlag vom 11. September womöglich noch zu übertreffen.

Das ist die offizielle Version. Viel wahrscheinlicher aber ist, dass dieses Bild des Weltschurken eine groteske Überzeichnung eines orientalischen Despoten war, der im Laufe des letzten Jahres zum Objekt der amerikanischen Strategie im Antiterrorkrieg wurde. Hussein selbst hat dies wohl selbst nicht mehr verstanden. So gab er weiter den großmäuligen Schurken, während ihm die Strategen im Pentagon systematisch jeden Ausweg verlegten. Bleibt die Frage, wer nach ihm nun die Schurkenrolle übernimmt.