In beschränkter Öffentlichkeit

Fronttheater, Genderbashing: Im Schwulen Museum geht die Fotoausstellung „Spurensuche“ der Libelle, dem Mandarin und Harlekin Hans Anton nach, die Ausstellung „Fuck Gender“ zeigt aktuelle Fotos der Berliner Queer Community von Annette Frick

von REINHARD KRAUSE

Damals, 1918, muss das dünne Kleidchen im orientalischen Stil mit den beiden starren Busenschalen, den baumelnden Kettchen und dem Gazeschleier noch verrückter, noch anspielungsreicher gewirkt haben. Mata Hari?!

Ein Fräulein *** trug es 1918 bei einem bunten Abend zur Zeichnung von Kriegsanleihen in der Garnisonsstadt Krotoschin, als effektvolles Kostüm für einen solistischen Schleiertanz aus „Die Königin von Saba“. Fräulein ***, meldete die Lokalpresse, riss das Publikum zu starkem Beifall hin, der „stürmischer Heiterkeit Platz machte“, als sich die Maid als feldgrauer Angehöriger des Ersatzbataillons des Füsilierregiments 37 herausstellte.

1987, bei der 750-Jahr-Feier Berlins, wurde das gut erhaltene Requisit erstmals ausgestellt. Nun bildet der blassgrüne Fummel den Mittelpunkt einer intimen kleinen Ausstellung, die das Schwule Museum seinem einstigen Träger ausgerichtet hat. Zwei glückliche Flohmarktfunde und ein wenig Recherche machten es möglich, dass heute zumindest ein wenig Licht in das geschichtliche Dunkel fällt, das sich über den Tänzer und späteren Statisten und noch späteren Platzanweiser der Deutschen Oper sowie zweifachen Weltkriegsteilnehmer Hans Anton (1897–1986) gelegt hat. Hätte Anton in seinen jüngeren Jahren nicht eine Reihe von Auftritten in Frauenkleidern und allerhand anderen kuriosen Kostümen (als Libelle, als Mandarin, als Harlekin beim Spagat) fotografisch dokumentieren lassen, kein Mensch würde heute seiner gedenken. Dank mehrerer dutzend Fotos aus der ersten Jahrhunderthälfte und einigen Presseausschnitte gewinnt im Schwulen Museum zwar nicht die Person Hans Anton Kontur, wohl aber sein ästhetisches Konzept: ein wunderbar surrealer Reigen aus Maskeraden und Spielen mit den Geschlechterrollen. Der Hintergrund der meisten Fotografien allerdings bleibt im Verborgenen: Welche Aufnamen dokumentieren öffentliche Auftritte, welche entsprangen rein privaten, womöglich streng gehüteten Vergnügungen?

Es gehört zum Reiz vieler Ausstellungen im Schwulen Museum, dass sie als gemischtes Doppel angelegt sind. Counterpart zu den patinierten Fotos von Hans Anton sind neuere Aufnahmen von Annette Frick. In den zurückliegenden zehn Jahren hat die Berliner Fotografin die queer community der Stadt bei ihren – ja, was eigentlich: Treffen? Begegnungen? Performances? – sagen wir: Selbstinszenierungen beobachtet. Die Unterschiede könnten kaum größer sein: Hier die zwischen Bühnenkunst und stillem Kämmerlein oszillierenden Künstlerporträts eines lang verstorbenen Tänzers, dort die Selbstfeier der sorgsam ins Schlampige und so genannt Anstößige kippenden Trashdiven. Hier das sonderbare Fräulein ***, dort die Vorzeigequeens der Homobewegung; hier der kleine Zirkel, dort die „Szene“. Bei näherem Augenschein freilich fällt auf, dass auch die Aufnahmen der Ichgolas, der Chou Chous, der Tillys und Daphnes wie auch der aktuellen Drag Kings nur in beschränkter Öffentlichkeit entstanden sind, am Rande von Charity Shows, auf Partys oder im privaten Kreis.

Der US-amarikanische Queer-Theory-Spezialist Marc Siegel schreibt über Annette Fricks Arbeit: „Die ‚neuen Identitäten‘, die diese Fotos dokumentieren, lassen etwas von den radikalen kulturellen Möglichkeiten der Großstadt erahnen.“ Immerhin, eine performative Nische bot auch schon das zwischen Breslau und Posen gelegene Krotoschin des Jahres 1918.

Zum Glück haben es Fricks Fotos gar nicht nötig, zum Queer-Statement gegen den modisch-akademischen Genderdiskurs hochgejazzt zu werden. Sie können und wollen aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Akteure und ihre Rollen keineswegs eins sind. Zum Spiel mit der Differenz gehört noch immer „stürmische Heiterkeit“.

Die skurrilste Reihe von Fotos findet sich übrigens auf der Rückwand der Schauvitrine mit dem Mata-Hari-Fummel: Da sieht man Hans Anton 1942 als stolzen Spanier (oder doch eher als stolze Spanierin?) und ganz am Ende der Reihe, im selben Jahr aufgenommen, in Wehrmachtsuniform, die Hände keck verträumt unter das Kinn gelegt. Krieger *** als herzensgutes Pixifoto.

Bis 26. Mai, Mo, Mi, Do, Fr, So 14–18, Sa 14–19 Uhr, Schwules Museum, Mehringdamm 61, Kreuzberg