Glücksboten am Golf

Soldaten macht es zu angstlosen Maschinen, die kein Risiko scheuen: Speed ist die Fitness-Droge für Kampfeinsätze, auch im Irakkrieg. Eine kleine Geschichte der Amphetamine aus gegebenem Anlass

von HANS-CHRISTIAN DANY

Anfang des Jahres ereignete sich in den USA ein ziemlich verunglückter Schauprozess. Verhandelt wurde der Fall der Air-Force-Piloten Harry Schmidt und William Umbach. Diese hatten in Afghanistan eine Einheit kanadische Soldaten mit Al-Qaida-Kämpfern verwechselt und im „Friendly fire“ mit einer 500 Pfund schweren Bombe vier von ihnen getötet und acht schwer verletzt. Bei der öffentlichen Anhörung lag in der Luft, dass die beiden sich wegen Totschlags vor einem Kriegsgericht verantworten müssten. Ein ungewöhnlicher Vorgang, zu dem es innerhalb der Geschichte der Air Force noch nie gekommen war. Die Anwälte der Piloten verteidigten ihre Mandanten indessen damit, diese hätten unter dem Einfluss von Amphetamintabletten gestanden, wie sie bei der US-Army routinemäßig ausgeteilt werden. Das Verfahren wurde kurze Zeit später eingestellt.

Dass der Krieg im Irak sich so schnell entscheiden ließ, mag auch dem bewährten Durchhaltemittel der US-Army geschuldet sein. Das Militär spricht von Go Pills, der Hersteller GalaxoSmithKline nennt das D-Amphetamine Dexedrine®, auf der Straße heißt es einfach Speed.

Die Geschichte von Speed ist so lang wie ein Menschenleben. Als der Chemiker Dr. Gordon Alles 1927 die schon länger bekannte Substanz auf den Namen Amphetamin taufte, war er an einer Linderung von Krankheiten interessiert. Fünf Jahre später kam das spätere Speed unter dem Markennamen Benzedrine® als Inhalertationstube auf den Markt, damit Asthmapatienten wieder tiefer durchatmen konnten. Der Erfolg gab dem Mittel recht, erreichte aber auch den gegenläufigen Effekt: Aufgrund der aufputschenden Nebenwirkungen des neuen Heilmittels erlebte Asthma einen Boom. Bald gab es mehr Kranke als zuvor.

Hinter der Oberfläche agiert Chemie: der Botenstoff Adrenalin und das ihm ähnliche Amphetamin. Ihre Aktion wiederholt sich millionenfach in dem Haus, das wir Körper nennen. Hier dringen Amphetamin-Moleküle in das Depot der natürlichen Agenten und setzen sie mit ihrer Nachricht in Bewegung. Durch die verstärkte Sendung der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin wird das Belohnungssystem aktiviert. Wohlbefinden macht sich breit. Zugleich wird der Körper in Alarmbereitschaft versetzt: alle zum Kämpfen oder Flüchten notwendigen Körperfunktionen aktiviert; Selbstverstrauen, Konzentration und Risikobereitschaft gestärkt; Angstgefühle unterdrückt. Die Muskeln spannen sich, der Mund wird trocken, der Körper beginnt zu schwitzen. Schmerz, Hunger und Durst reduzieren sich auf ein Minimum. Die Wahrnehmung des Körpers bleibt temporär auf der Strecke – die Organe funktionieren einfach weiter, so als sei dem Körper eine Maschine implantiert worden.

Das Präparat, mit dem sich auch leichte Depressionen und eine breite Palette anderer Beschwerden behandeln ließ, wurde vor allem als Aufputschmittel immer beliebter. Durch diese Umnutzung wurde das Militär auf die Amphetamine aufmerksam. In Deutschland lässt sich diese Übernahme gut verfolgen: Hier hatte sich das technologisch innovative Methamphetamin Pervitin® nach seiner Markteinführung 1938 schnell zu einem Kassenschlager auf dem zivilen Markt entwickelt. Bald häuften sich aber Einlieferungen verstörter Konsumenten in Krankenhäuser, wurden immer öfter Gewöhnungssymptome beobachtet. Entsprechend wurde Speed in Deutschland dem Opium-Gesetz unterstellt – ein Jahr vor Ausbruch der Schlacht um Stalingrad. Dort aber schienen die Soldaten das Mittel besser als Zivilisten zu vertragen: Millionen Tabletten wurden weiter an die Wehrmacht geliefert, mal als optionale Stütze im Sturmgepäck, dann wieder vor besonderen Einsätzen auf Befehl zugeteilt.

Während des Zweiten Weltkrieges waren es nicht nur die Deutschen, sondern auch US-amerikanische, englische und japanische Soldaten, die mit Amphetamin gedopt wurden. Nach dem Krieg beginnt die noch recht junge Biotechnologie eine weitere Karriere. In den Sixties nahmen die zivilen Umnutzungen vor allem in den USA, aber auch in Japan oder Schweden, ein solches Ausmaß an, dass ihr Gebrauch zunehmend reglementiert wurde. In der Folge tauchten immer öfter Kopien aus klandestinen Speedküchen auf.

1971 erklärte US-Präsident Richard Nixon den „War On Drugs“. Dieser Krieg dauert bis heute an und führt, bei einem Investitionsvolumen von 609 US-Dollar in der Sekunde, zu einer Verhaftung alle zwanzig Sekunden – ansonsten gilt er als verloren. Amphetamine nehmen im „War On Drugs“ eine besondere Rolle unter den umkämpften Substanzen ein: sie werden am häufigsten kontrolliert und gleichzeitig unkontrolliert hergestellt.

Über den Speed-Konsum im „War On Terrorism“ gibt es noch keine genaueren Daten. Im letzten Golfkrieg sollen 60 % der Soldaten davon Gebrauch gemacht haben, in Kampfsituationen waren es sogar bis zu 98 %, die zur Speed-Option im Marschgepäck griffen. Die Dosierung wurde nach längerer Diskussion seitdem von 5 mg auf 10 mg erhöht. Das Mittel der Wahl blieb das Gleiche: Dexedrine® wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem zivilen Markt lanciert und erwies sich als wesentlich stärker, als das bis dahin erhältliche Benzedrine® war. Die Mods gaben ihm in den Sechzigerjahren den schönen Kosenamen Dexys Midnightrunners.

Eine gewisse Analogie der aufputschenden Wirkung legt den Vergleich zu Kokain nahe: Dies wirkt schneller, aber schwächer, kürzer und weniger komplex. Kokain wird vom Gehirn schneller abgebaut, während die nachhaltigeren Amphetamine lange Zeit unausgetauscht im Körper bleiben. Sie sind effizienter und preisgünstiger als der milde Kokskick der neuen Mitte, jedoch in ihren Nach- und Nebenwirkungen intensiver und unkalkulierbarer. Es handelt sich um kein eindeutiges Rauschmittel, es kann aber als solches verwendet werden. Richtig dosiert kann es dabei helfen, „in sich selbst die innern Möglichkeiten des Wahnsinns wiederzufinden“ (Michel Foucault). Speed gebiert schlaflose Wanderer die tagelang ununterbrochen unterwegs sein können. Es übersteigert Stimmungen und enthemmt die assoziativen Sprachzentren. Schlafentzug und Anspannung können nach einigen Tagen Dauerkonsum zu halluzinationsähnlichen Wahrnehmungsverschiebungen führen. Intensitäten und Formen der Besessenheit werden frei gesetzt, die sie das nüchterne Leben so nur selten oder gar nicht bietet in der Konsequenz wird die Normalität leicht zu einem grauen Zustand. Speed kann in drastischer Form zu den dunklen Seiten in uns führen, das macht es gefährlich und gleichzeitig besser als seinen schlechten Ruf.

Zumeist halten Amphetamine die „Vernunft der Welt“ zusammen: Sie sind eine fast schon klassische Selbstmanagement- und Durchhalte-Technik – Millionen Kleinunternehmer, Taxifahrer, Lastwagenfahrer, Prostituierte und Fließbandautoren in aller Welt können nicht irren. Es ist denn auch kein Zufall, dass Amphetamine mit dem Wechsel von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft eine Renaissance erleben und wieder als kleine Helfer im Schatten mitlaufen. Vor allem dort, wo diese Hilfe extrem billig sein muss – und billiger als Amphetamin geht es kaum noch. Auch im Krieg.