ein arabisches tv-tagebuch
: Sélim Nassib über den Irakkrieg auf al-Dschasira

Angst vor dem Geist aus der Flasche

Vor dem Hotel Palestine, im Zentrum von Bagdad, drängen sich dutzende von Irakern, von US-Soldaten dirigiert. Im Inneren registriert das „Komitee für die Rückehr zum normalen Leben“, das sich im größten Empfangsraum installiert hat, seine Kandidaten: Sie sollen als Polizisten zur Wiederherstellung der Ordnung beitragen, was im Irak zum politischen Problem Nr. 1 geworden ist. Polizeioffiziere im Ruhestand sowie alte Verantwortliche von Saddams Polizei, in ähnlichen Uniformen wie die der irakischen Soldaten, die sich in Luft aufgelöst haben, betreuen sie.

Die Wahl des Hotels, in dem die Medien der gesamten Welt konzentriert sind, ist nicht dem Zufall geschuldet. US-Verteidigungsminister Rumsfeld erscheint auf dem Bildschirm und greift Presse und Fernsehsender an, die dem „befreiten“ Irak ein erbärmliches Bild der Anarchie verliehen hätten.

Al-Dschasira gibt bekannt, dass in den irakischen Städten wieder, Schritt für Schritt, Ordnung und Sicherheit einkehrten. Aber in der Zwischenzeit sind die Ministerien, öffentlichen Gebäude und Krankenhäuser beinahe vollständig geplündert worden. Die leeren Räume der Museen, ihrer jahrtausendealten Schätze beraubt, rufen die empörtesten Kommentare hervor: „Der Unmut brodelt gegenüber den USA, die diese Form des Vandalismus zugelassen haben.“

In Wirklichkeit geht die Rückkehr zu relativer Ordnung zu einem großen Teil auf spontane Initiativen aus der Bevölkerung zurück. Überall haben sich Bürgerkomitees gebildet, um zu retten, was noch zu retten ist, und in den Vierteln Wache zu halten. Die Moscheen haben ihre diesbezüglichen Appelle vervielfacht. Bilder zeigen Freiwillige, die, mit Atemschutzmasken über dem Mund, die verkohlten menschlichen Überreste zusammen tragen, die seit Tagen in den Straßen von Bagdad vor sich hin rotten.

Aus Mossul, im Norden des Landes, machen Nachrichten von Zusammenstößen zwischen Kurden und Arabern die Runde, welche dutzende von Opfern gefordert haben sollen, was alte Befürchtungen auf einen ethnischen Bürgerkrieg weckt. Der Korrespondent von al-Dschasira vor Ort dementiert diese Nachricht ausdrücklich: Er bestätigt zwar die Zahlen der Opfer, betont aber mit Nachdruck, dass sie auf Zusammenstöße zwischen „arabischen und kurdischen Bürgern auf der einen und Plünderern auf der anderen Seite“ zurückzuführen seien.

Schmerzhaft scheint der Irak aus drei Tagen des Chaos zu erwachen und sich zu fragen, wie wohl seine unmittelbare Zukunft aussehen wird. Der Mangel an Wasser, an Nahrungsmitteln, Strom und Sicherheit ist augenfällig. Aber selbst die Angst vor dem gestürzten Regime ist nicht vollständig verschwunden: „Passt auf!“, sagt ein junger Mann in den Straßen von Bagdad: „Saddam ist ein Dschinn (ein böser Geist). Er kann noch immer wiederkommen!“ SÉLIM NASSIB

Sélim Nassib begleitet in seiner Kolumne die Berichterstattung des arabischen TV-Senders al-Dschasira