berliner szenen In der Rosenstraße

Nazis am Werk

Vor uns in der Rosenstraße in Mitte steht eine Litfaßsäule, deren Beklebung in Fetzen herunterhängt. Kein ungewohntes Bild in Berlin. Doch an dieser Säule klebte keine Werbung für „Lavazza“ oder „Lucky Strike“, sondern eine Geschichte. Texte und Bilder erzählten von mehreren hundert verzweifelten Frauen, die im Februar 1943 etwas sehr Mutiges taten: Sie protestierten öffentlich gegen die Verhaftung ihrer Männer, die nach der Rassenlehre der Nazis keine Männer und Väter waren, sondern Juden und deshalb von ihren Familien getrennt und deportiert werden sollten. Über mehrere Tage demonstrierten sie vor dem Sozialamt der Jüdischen Gemeinde in der Rosenstraße, wo die Männer zusammengetrieben wurden. „Gebt unsere Männer frei“, riefen sie. Mit Erfolg. Nach und nach wurden die Männer wieder freigelassen, zum Teil sogar aus Konzentrationslagern zurückgeholt. Sie lebten bis zum Ende des Krieges im offiziell „judenfreien“ Berlin. Margarethe von Trotta dreht zur Zeit einen Film über diese Geschichte mit Katja Riemann und Jürgen Vogel in den Hauptrollen.

An diesem Morgen zieht sich ein Riss durch die Erinnerung. Die sorgsam aufgeklebten Texte und Bilder auf rotem Grund verteilen sich in der Umgebung. Ein Foto von der Sammelstelle hat der Wind auf die Grünfläche getragen, dorthin, wo früher die Alte Synagoge stand. Das Wort Rosenstraße klemmt verknittert unter einem Autoreifen. Man weiß, dass es Menschen gibt, die bei diesem Anblick tieftraurig sein werden. Es sind die Menschen, die vor 60 Jahren für ihre Liebe gekämpft haben. Wer ist verantwortlich dafür? Eine antisemitische Tat? Wahrscheinlich. Vielleicht auch nur Dummheit, die die Täter nicht erkennen ließ, was sie hier zerstörten. Es ändert nichts. HENNING KOBER