Die Asche der Bücher

In der Akademie der Künste von Bagdad haben die Plünderer gewütet. Ein trauriger Rundgang über den Campus

aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY

„Das waren nicht die Smartbombs der Amerikaner, sondern unsere eigenen dummen Bomben“, sagt Professor Abdel Dschalil Abham und steht vollständig fassungslos vor seiner zerstörten Arbeitsstätte. Er will seinen Augen nicht trauen. Die Kunstakademie, an der er Fotografie lehrt, existiert praktisch nicht mehr. Plünderer haben alles mitgenommen, was irgendwie brauchbar war. Doch was noch viel schlimmer ist, der Rest ist sinnlos zertrümmert worden. „Ich habe hier 27 Jahre lang gelehrt und gearbeitet. Das zu sehen, ist, wie wenn einem das Blut direkt aus dem Herzen läuft und nicht mehr zurückkommt“, beschreibt Abham sein Gefühl. Die letzten Tage des Chaos und der Plünderungen, sagt er, seien schlimmer gewesen als zwölf Jahre UN-Sanktionen, und auch für die Zukunft sehe es düster aus.

Im Hof blüht der Mandelbaum

Der Mandelbaum im Hof der Akademie, der in voller weißer Blüte steht, wirkt wie aus einer anderen Welt. Rund um ihn herum wurde blinder Zerstörungswut freier Lauf gelassen. Am sichtbarsten dokumentiert sich das in der Abteilung für Bildende Kunst, in der die Werke der Studenten und vor allem zahlreiche Töpferarbeiten ausgestellt waren. Heute ist der Ort ein riesiger Scherbenhaufen. Überall liegen kopf- und armlose Statuen und Plastiken herum. Während überall sonst in der Stadt Saddam-Statuen fallen, stellt eine Gruppe von Studenten und Professoren unter gemeinsamer Anstrengung eine gestürzte überdimensionale Statue von Faiq Hassan, dem berühmtesten irakischen Maler, wieder auf. Ein trauriger Anblick, die obere Kopfhälfte ist unwiederbringlich weggebrochen. „Das waren keine Iraker, sondern Barbaren, die keinen Sinn für Kunst haben“, sagt Wajeh Said, ein graduierter Student, der an diesem Tag in seine alte Akademie zurückgekehrt ist, zu retten, was zu retten ist.

Viel ist es nicht. Das benachbarte Kontor der Akademie ist vollkommen leer geräumt. Nur mit den Ölfarben konnten die Plünderer wenig anfangen. Sie liegen lieblos zertreten auf dem Boden verstreut. „Macht nichts“, sagt Wajeh Said, „die waren eh ausgelaufen und ausgetrocknet.“ Wegen der Sanktionen war es für das Institut schwer, neue Farben zu kaufen.

Der traurigste Anblick der Akademie ist aber deren Bücherei. Es war schwer, an Kunstbücher heranzukommen. Sie während der zwölf Jahre UN-Embargo zu bestellen, war nicht einfach. Die Bücher und Zeitschriften in Zeiten des Embargos in den Irak zu liefern, war fast unmöglich. Vieles wurde dennoch unter großen Mühen und mit viel privater Initiative angeschafft. Nun ist die Bücherei vollkommen ausgebrannt. Es gibt keinen Fetzen Papier mehr in dem Raum, nur noch Asche, die zentimeterdick den Boden bedeckt.

Auch im Büro des Dekan herrscht gähnende Leere. Die Klimaanlagen wurden aus der Wand gerissen. Und nur noch die dunklere Wandfarbe und ein Schmutzrand zeugen von dem riesigen Bild, auf dem einst der gesamte Lehrkörper als Karikatur dargestellt war. Der Schreibtisch des Dekans ist auseinander genommen, nur an einem Englisch-Wörterbuch und einem Band arabischer Kunstmagazine hatten die Plünderer offensichtlich kein Interesse.

„Unser Studium ist kaputt“

Die Plünderer waren meist aus der nahe gelegenen Saddam-City gekommen, einem schiitischen Armenviertel im Norden Bagdads, das inzwischen in Salam-City – Friedensstadt – umgetauft worden ist. Qaisar, zu deutsch Cäsar, kommt aus diesem Viertel. Im Sommer hätte er als einer der Schüler Abhams dort graduiert. „Ich schäme mich für unser Viertel“, sagt er. Aber, wie er betont, nicht alle von dort seien gleich. Er hätte mit seinen Freunden in den ersten Tagen der Anarchie und der Plündereien eine Straßensperre vor einem Krankenhaus aufgebaut. „Ich weiß nicht, wie wir jetzt weiterstudieren sollen. Mit dem Institut ist auch unser Studium kaputt“, erklärt er, während er aus Abhams Klassenzimmer die zwei Fotostative holt, die die Plünderer übrig gelassen haben. Auch ein paar Bilder hat er draußen bereits eingesammelt, die wenigen, die er noch an den Wänden des Instituts gefunden hatte. Abham schüttelt den Kopf. Er möchte die Sachen nicht in den Kofferraum seines Autos laden – aus Angst, die Menschen könnten glauben, er wolle sein Institut ausplündern. Auch den Hinweis, dass er doch jederzeit beweisen könne, dass er dort als Professor tätig ist, will er nicht gelten lassen. So weiß er nicht, ob das wenige Übriggebliebene auch morgen noch dort sein wird.

An der Tafel in Abhams Klassenzimmer steht immer noch seine letzte Lektion über Fotolinsen. Jemand hat daneben mit Kreide gekritzelt: „Saddam Hussein ist am 8. 4. 2003 gefallen. Er hat den Irak zerstört.“ Ansonsten gibt es im gesamten Instutit nur wenig Hinweise auf das alte Regime. „Saddam ist ein Zuhälter“ hat einer der Plünderer an eine Bürowand gepinselt. Übrig sind auch die einst für jedes irakische Büro obligatorischen Präsidentenporträts, die mit zersplittertem Glas auf dem Boden herumliegen. Einer der Plünderer hat seine Wut auf Saddam Hussein ohne Worte ausgedrückt. Er hat seinen Darm auf einem der Porträts entleert.

Abham war nie ein Freund des Regimes. Stets hat er sich kritisch zu Saddam Hussein geäußert, wenngleich zweideutig und vorsichtig, aus Angst, dass ihm daraus ein Strick gedreht werden könnte. Als er die Akademie verlässt, versteht er die Welt nicht mehr. „Was haben diese Zerstörungen mit dem Regime zu tun“, fragt er. „Was hier kaputtgemacht wurde, ist die Zukunft der Studenten und des Landes.“