Der Niederlagen-Spezialist

Die Figuren des George F. Walker haben großes Talent, aus eigener Kraft zu scheitern. Demnächst werden seine Stücke überall laufen, Magdeburg bietet einen Vorgeschmack

Man wird noch von ihm hören: Die Saison geht, George F. Walker kommt

Sein Name ist Walker, George F. Walker. In der nächsten Saison wird sein ironischer Blick auf die amerikanische Gesellschaft noch oft zu erleben sein. Als Erstes wurde jetzt das Stück „Heaven“ in Magdeburg inszeniert. Und das geht so: Ein Fluch lastet auf dem Beruf der Straßencops. Sie richten immer das genaue Gegenteil von dem an, was sie eigentlich wollten: wecken Misstrauen, säen Zwietracht, provozieren Vorwürfe. Das Ende ist die gegenseitige Ausrottung im blutigen Showdown. Wer überlebt, trauert nicht um die Toten – es waren Heroinmädchen, korrupte Rechtsanwälte, unfähige Sozialarbeiterinnen. Walkers Kunst ist, sie finster-fröhlich in immer neuen Paarungen aufeinander treffen zu lassen.

„Suburban Motel“ heißt eine Serie aus sechs Stücken, in denen ein Hotelzimmer der Umschlagplatz für eine Hand voll Gäste ist, die vor allem eines verbindet: das Talent, ganz allein aus eigener Kraft zu scheitern. Die drogensüchtige Denise, die ausgerechnet den Zimmerjungen Phillie einspannt, um ihre Tochter von der Fürsorge zurückzubekommen; die Gangster, die der Gewalt abschwören und nun selbst die Mafia am Hals haben.

In Kanada schätzt man dergleichen. Dort ist Walker der populärste englischsprachige Autor der vergangenen Jahre. Theoretisch lägen zwei dutzend Stücke zur deutschsprachigen Erstaufführung parat, und bei so viel Text kann man mit vollen Händen schöpfen. Für die nächste Saison sind Inszenierungen in Düsseldorf angekündigt, in Berlin wird es Walker geben, und glaubt man dem Verlag, sind Gespräche mit weiteren Häusern im vollen Gange. Der Anfang ist gemacht, ein Ende nicht in Sicht.

Einen Vorgeschmack bieten nun also die Freien Kammerspiele in Magdeburg. In der dortigen Inszenierung von „Heaven“ kommt neben dem Cop die zweite Lieblingsfigur des Autors vor: ein Rechtsanwalt. Menschenrechts-Spezialist Jimmy ist im Kampf gegen Rassisten und religiöse Fanatiker selbst ein Fanatiker geworden. Die Ehe mit seiner jüdischen Frau ist am Scheitern, und als er am Anfang des Stücks von einem Polizisten mit der Waffe bedroht wird, bricht akut die Lebenskrise aus. Zwischendurch hakelt er sich mit einem Rabbi, liest ein Drogenmädchen von der Straße auf – und dass sich am Ende alle einschließlich ihm selbst im Jenseits wiederbegegnen, ist das einfache Resultat unglücklicher Verstrickungen. Mit Vernunft kann man dem nicht beikommen.

Regisseur Matthias Brenner versucht es in Madgeburg trotzdem. Hinter dem bös-grotesken Verhalten der Figuren scheint er streckenweise ein tieferes psychologisches Muster zu vermuten und lässt die Figuren manchmal allzu larmoyant über die Welt räsonieren. Auf diese Weise wird das Schnelle, Spritzige immer wieder mit sozialrealistischen Einschüben ausgebremst. Gesangseinlagen und kleine Tanznummern kontrastieren mit Showdown-Szenen, denen Dirk Audehm als Polizist zu schöner Komik verhilft. Dafür ist der Schlussmonolog gestrichen. Darin schlägt Jimmy dem lieben Gott sehr ernsthaft vor, die Menschen dafür zu bezahlen, dass sie sich zu besseren Menschen bekehren lassen.

Die Marktbeziehung soll also richten, was polizeidienstliche oder geistliche Stellen nicht vermochten. Über die Fähigkeit des Geldes, die Welt zu neutralisieren, ist schon viel nachgedacht worden. Walker fügt dem reichen Anschauungsmaterial seinen bissigen Blick hinzu. Man wird noch von ihm hören. Die Saison geht, George F. Walker kommt.

SIMONE KAEMPF