ein arabisches tv-tagebuch
: Sélim Nassib über den Irakkrieg auf al-Dschasira

Arabische Kakophonie

Der Moderator im grauen Anzug liest die Faxe und E-Mails, die man ihm reicht: Hinter seinem Rücken laufen stumm die Bilder des Tages ab. Die Stunde ist spät, der Tonfall gedämpft: „Was denken Sie über die erste Versammlung der irakischen Opposition in Nassirija unter US-Ägide? Was halten Sie von den Vorschlägen für einen föderalen und demokratischen Irak? Wie jeden Abend haben Sie im Debattenforum von al-Dschasira das Wort. Zu Beginn ruft uns Oum Walid aus Jordanien an.“ Eine weibliche Stimme verliest atemlos einen Text, der den US-Einmarsch verdammt und das irakische Volk verherrlicht. Nach ein paar Minuten unterbricht sie der Moderator zaghaft: „Das Thema ist die Versammlung von Nassirija.“ Die Frau hört ihm kaum zu.

Er entschließt sich, ihr das Wort abzuschneiden, um zu einem Iraker überzuleiten, der in Syrien lebt: „Das irakische Volk hat unter dem Mangel an freier Informationen gelitten! Sie sollten ihm das Wort geben!“

Der Moderator wiederholt seine Frage und gibt an eine Frau aus Katar weiter. „Was ist das für eine Opposition? Was wird sie machen? Die Amerikaner sind dabei, im Herzen des arabischen Nahen Ostens eine imperialistische Ordnung zu errichten, der Irak ist nichts als der Anfang!“

Der verzweifelte Moderator wiederholt die Wörter „Föderalismus“ und „Demokratie“. Er wird kaum gehört.

Aus Kairo, dem Libanon und Algerien, aber auch aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz, der größte Teil des Publikums leiert sein Credo herunter, übermittelt dem irakischen Volk sein Beileid (und dem Team von al-Dschasira, das einen der Ihren verloren hat), prangert die USA an und (manchmal) Saddam Hussein und ruft die Araber auf, sich den amerikanisch-zionistischen Absichten zu widersetzen. Alles ohne einen Kommentar zu den Entwürfen für ein kommendes Regime im Irak.

Nur eine kurdische Frau entrüstet sich: „Die Opposition? Sie wird immer noch besser sein als die Tyrannei von Saddam Hussein.“ Ein Mann aus London wagt es letztendlich, sich aus dem Fenster zu lehnen: „Bei dieser Versammlung der Opposition gab es jene aus dem Inland und jene, die aus dem Exil zurückkehrten. Der Irak ist von ethnischen, religiösen, regionalen und tribalen Kluften durchzogen. Mit dem Föderalismus, den sie versprechen, riskieren die Amerikaner, die Lunte für einen Bürgerkrieg zu legen.“

In einem Land, wo die Spannungen zwischen Sunnniten, Schiiten und Kurden unter der eisernen Hand Saddams kontrolliert wurden, ist das die absolute Schreckensvision. Nach ihm steigen auch andere in die Diskussion ein. „Wir werden uns mit Sicherheit über Fragen des Föderalismus und des Säkularismus streiten“, schließt ein Iraker aus Deutschland. „Aber was auch immer kommt, wir können jetzt immerhin sagen, was wir denken, wir Iraker. Und das ist bereits etwas“.

Sélim Nassib begleitet in seiner Kolumne die Berichterstattung des arabischen TV-Senders al-Dschasira