Ich versuche ruhig zu bleiben

„Oui“, sagt der Bräutigam. „Ja“, übersetzt der Dolmetscher. In Paris wird eine französisch-amerikanische Hochzeit gefeiert, bei der sich kein Gast in eine Schublade stecken lässt. Wen kümmert das Ressentiment der Regierungen?

Ich lebe in Berlin so normal wie möglich: Ich suche Arbeit in einem nicht existierenden Arbeitsmarkt, ich versuche die meisten der verärgerten Verallgemeinerungen über die Amerikaner nicht allzu persönlich zu nehmen (um nicht falsch verstanden zu werden – ich wünschte, Gore hätte die Wahl gewonnen), ich genieße die billige Miete und manchmal sogar das schizophrene Wetter.

Manchmal überkommt mich trotzdem die Angst. Ich bin froh, zur Zeit nicht in den USA zu leben. Ich bin froh, dass ich New York vor einem Jahr den Rücken gekehrt habe und nicht mehr zurückgegangen bin. Und ich war – zugegebenermaßen ein wenig irrational – froh, dass der Flug, den ich letzte Woche buchte, um bei einer Hochzeit dabei zu sein, in keine amerikanische oder britische Stadt ging. Ich flog von Berlin nach Paris und setzte meinen Glauben in den deutsch-französischen Widerstand gegen den Irakkrieg, der meine Sicherheit garantieren würde. Ich ließ meinen blauen amerikanischen Pass in der Schublade und packte meinen roten deutschen ein.

„Liebe, Liebe, Liebe“, stand unter Betreff in der E-Mail, die mir mein Freund Christopher, Lektor in New York, schickte. Das war Monate, bevor die Bomben auf den Irak fallen würden. Liebe meint Veronique, eine Pariser Designerin. Nach einen Jahr, in dem die beiden auf dem Weg von Paris nach New York und umgekehrt fleißig Meilen sammelten, wurde die Frage nach der transatlantischen Verbindung mit einem Ring endgültig geklärt.

In Paris betreten mein Freund und ich das Rathaus im neunten Arrondissement. Nach dem Sicherheitscheck schließen wir uns der Hochzeitsgesellschaft im Hof an. Ein Mann geht an uns vorbei, er trägt zwei Nationalflaggen an seinem Revers, die rot-weiß-blaue und die blau-weiß-rote. Sprachen und Akzente mischen sich, die Franzosen sind lässig, die Amerikaner überschwänglich. Ein kleines Mädchen, das herumrennt, spricht Deutsch, ein Freund ist mit seiner Verlobten aus Venezuela da. Mein eigener Freund, der noch nie in den USA war, flüstert mir zu, wie sehr doch Christophers Eltern das typische amerikanische Ehepaar seien.

Um halb zwölf versammeln wir uns im Standesamt. Es ist meine erste zweisprachige Hochzeit, und trotz des Dolmetschers mit seinem dicken Schnurrbart geht der Großteil der Zeremonie in der Übersetzung verloren. Die Stellvertreterin des Bürgermeisters rasselt die französischen Heiratsversprechen herunter, während der Übersetzer meist schweigt. „Oui“, antwortet Christopher. „Ja“, übersetzt der Dolmetscher. Wir kichern. Und sind uns dessen sehr bewusst, was sich ganz von selbst übersetzt: Die Weltlage transzendiert die Hochzeit von Christopher und Veronique. Es handelt sich um nicht weniger als die französisch-amerikanische Versöhnung, um die zwei Flaggen am Anzug des Mannes. Um das Symbol: Nicht alle Leute lassen sich in Schubladen stecken. Wir können uns schließlich vom Ressentiment distanzieren, das unsere Regierungen pflegen.

Am Abend, als wir das Restaurant betreten, sind die Tische mit gekreuzten französischen und amerikanischen Fahnen geschmückt. „Ich bin so glücklich“, sagt Christophers Vater, ein pensionierter Marineoffizier, mindestens fünf Mal während seiner weinseligen Rede. Er wendet sich an seine französischen Gästen: „Vielen, vielen Dank, dass Sie uns diese wunderschöne Frau geben. Wir sind so glücklich, dass sie nun Teil unserer Familie ist.“ Die Amerikaner reden mehr, die Franzosen rauchen mehr. Manche Klischees sind eben wahr.

Ward und Mary, Christophers Kusinen aus Washington D. C., die zehn Jahre vor dem Mauerfall in Berlin-Grunewald gelebt haben, sind neugierig, wie die Stadt heute ausschaut. Rechts neben mir diskutiert ein alter Freund der Familie mit Thomas, dem Exberliner in New York, über Verschwörungstheorien zum 11. September. Zu meiner Linken verzeiht mir eine Pariserin mein schlechtes Französisch und gibt mir Tipps für meinen Aufenthalt. Christopher kommt dazu, und wir finden uns in einer erbitterten Diskussion über Bush und den Irakkrieg wieder .

„Aber du bist jetzt hier und musst deinen Beitrag zu den französisch-amerikanischen Beziehungen leisten“, spotte ich. Christopher lacht. „Franzosen und Amerikaner überwinden ihre Schwierigkeiten in einem Moment des Glücks. Versöhnung über den Atlantik hinweg“, sagt er. „Wie in einer billigen Romanze.“ Der Raum ist voller Gelächter, französische und englische Satzfetzen schwirren durch die Luft, französischer Bordeaux und französischer Champagner werden gereicht. Die pensionierten amerikanischen Offiziere und die Horde von Brüdern, Cousins und Schwägerinnen – mein Freund kann sie alle nicht auseinander halten. „Eine billige Romanze“, wiederholt Christopher, „aber eine gute Liebesgeschichte.“ MICHELLE LI