Scheitern einer Mission

Die USA werden mit ihrer hegemonialen Politik im Irak scheitern, weil ihr Zivilisationsmodell dort als Bedrohung der kulturellen Identität wahrgenommen wird

Für den Prozess des Nation Building im Irak sind die Vereinten Nationen die einzig legitime Instanz

Seit den Tagen des Vietnamkriegs haben wir uns daran gewöhnt, dass Kriegen keine Kriegserklärungen vorausgehen. Auch die einschlägige Fernsehansprache des amerikanischen Präsidenten anlässlich der Irak-Invasion folgte dieser Übung. Sie konstatierte den Angriff und vermied es peinlich, sich an den für Kriegserklärungen vorgeschriebenen Adressaten – also die irakische Führung – zu wenden.

Wie der Anfang, so das Ende. Es wird auch keine förmliche Kapitulation geben. Die Vereinigten Staaten haben weder Lust noch Interesse, irgendeinen irakischen General aufzutreiben, der mit durchgedrücktem Kreuz seine Unterschrift unter die Kapitulationsurkunde setzt wie 1945 Großadmiral Dönitz. Stattdessen basteln drei der Angriffskoalition (warum eigentlich nur drei?) an einer Kriegsbeendigungserklärung, einem einseitigen Akt, der dennoch den Anspruch erhebt, einen allgemein akzeptierten Schlussstrich zu ziehen.

Sind das alles nur juristische Lappalien, Erinnerungen an eine historische Phase des Völkerrechts, die, gemessen an den Erfordernissen internationaler Terrorismusbekämpfung, obsolet geworden ist? Solche Auffassungen schießen jetzt ins Kraut. John Keegan, der als Militärhistoriker den Vorzug bündiger Schlussfolgerungen kennt, hat sie im Interview so pointiert: „Ich glaube, wir werden die Begriffe des internationalen Rechts neu diskutieren müssen, wenn wir eine genaue Analyse des Kriegsverlaufs vorgenommen haben.“ Das Recht stellt demnach kein Beurteilungskriterium für Kriegshandlungen dar, sondern es ist der Kriegsverlauf, dem sich das Kriegsvölkerrecht anzupassen hat.

Das Völkerrecht bildet wie alles Recht keinen abgeschlossenen Kanon mit Ewigkeitswert. Seit der Epochenschwelle des Jahres 1989 liegen zwei Tendenzen im Streit miteinander. Die eine nimmt die zunehmende wechselseitige Abhängigkeit der Staaten zum Anlass, kooperative Formen der Friedenssicherung, der wirtschaftlichen Entwicklung und des Umweltschutzes zu etablieren. Sie ist UNO-zentriert, orientiert auf Verhandlungen, Ausgleich und die Stärkung rechtlicher Rahmenbedingungen. Ihr Verständnis der Staatenwelt negiert nicht die unterschiedlichen Kräfteverhältnisse, sucht diese aber in einem Konzept der Multipolarität auszubalancieren. Hauptexponent dieser Linie war bis zu ihrer Spaltung durch die USA die Europäische Union.

Die zweite Tendenz interpretiert die Entwicklung seit 1989 als Revival der internationalen Anarchie, die durch das System wechselseitiger atomarer Abschreckung in der Zeit des Kalten Krieges nur vorübergehend zurückgedrängt worden war. Der Zerfall von Großreichen und Föderationen führte zu einer Vielzahl von nationalen und ethnischen Konflikten, von endemischen Bürgerkriegen, von Terrorunternehmungen nichtstaatlicher Akteure, die der klassischen Definition des Krieges Hohn sprechen.

Es bedarf, so die These, der starken, ordnenden Hand. Da nur die verbliebene Supermacht über die nötigen Machtmittel gebietet, fällt ihr die Aufgabe zu, den internationalen Leviathan zu spielen. Insofern sind der zweiten Tendenz zufolge die nationalen Interessen Amerikas identisch mit dem globalen Interesse an Friedenssicherung.

Die wenigen Wochen des Irakfeldzugs haben ausgereicht, um in der deutschen politischen Diskussion einen Begriff positiv zu besetzen, umzudeuten, dem bislang der strenge Geruch nicht legitimierter Herrschaft anhaftete, den der Hegemonie. Seit der Politikwissenschaftler Karl-Otto Hondrich im März dieses Jahres die These von der Weltgewaltordnung kreierte, war die Logik des Arguments festgelegt: Die Welt ist US-hegemonial verfasst, weil es eine Gewaltordnung ohne Hegemonie nicht gibt. Seither wird in der konservativen Publizistik die auf internationale Verrechtlichung unter dem Dach der UNO zielende Tendenz als utopisch oder träumerisch dargestellt, die hegemoniale Orientierung kraft schierer Stärke hingegen als einzig realistische.

Nach dieser Auffassung sind die USA dazu aufgerufen, reinen Tisch zu machen, ihr Gewaltpotenzial so lange einzusetzen, bis die Welthegemonie vollendet ist. Damit wird Bushs Auffassung vom lang anhaltenden Krieg gegen den Terrorismus die politische Basis nachgeliefert. Wo ein Krieg in den anderen übergeht, wo die Kriegsgründe austauschbar sind, die Kriegsziele wechseln, löst sich das Netz der Völkerrechtsordnung zugunsten einer zukünftigen Welthegemonieordnung auf.

Doch merkwürdig, je näher das Ende des Irakfeldzugs rückt, in eine desto schwierigere Lage geraten die Verächter der Weltrechtsordnung. Den publizistischen Artilleristen der „realistischen“ Denkrichtung ist bei ihrem Sperrfeuer entgangen, dass Hegemonie nur erfolgreich ausgeübt werden kann, wenn sie sich auf eine zumindest partielle Unterstütung der Hegemonieunterworfenen stützt. Sonst wäre sie bloße Gewaltherrschaft. Hegemonie funktioniert nur, wenn sie sich als gepanzerter Konsens darstellt. Wie aber ist, beispielsweise im besetzten Irak, Konsens erreichbar? Eben nicht dadurch, dass die Besatzungsmacht sich als Träger einer demokratischen Neuordnung geriert. Ihre Doppelrolle als imperiale Ordnungsmacht mit starken ökonomischen Eigeninteressen und als demokratischer Glücksbringer ist nicht glaubwürdig. Wie kann die politische, ökonomische und kulturelle Hegemonie der USA über den Irak also auf indirekte Weise gesichert werden? Wie kann das amerikanische Militär gleichzeitig sichtbar sein und sich unsichtbar machen?

Wo die Kriegsgründe austauschbar sind, löst sich das Netz der Völkerrechtsordnung auf

Im Unterschied zum Kriegsende 1945, als es die UNO und das durch sie verkörperte Weltrechtssystem nicht gab, sind heute die Vereinten Nationen nicht nur die Quelle eines legalen Prozesses des Nation Building im Irak, sie sind auch die einzig legitime Instanz, denn sie verbürgen kraft ihres Auftrags die Verteidigung von Souveränität und Selbstregierung. Für die Bevölkerung des Irak gilt das Besatzungsregime als Angriff auf die kulturell-nationale Identität. Sie wird eine internationale Übergangsverwaltung nur akzeptieren, wenn diese sich rechtlich legitimiert. Das kann nur die UNO leisten – als Protektor, nicht als Hegemon.

Gegenwärtig sieht es noch so aus, als ob die amerikanische Regierung selbst daran glaubt, ihre Hegemonie – zunächst im Nahen Osten – aufrichten zu können. Aber der Streit um eine „vitale“ oder „zentrale“ Rolle der Vereinten Nationen im Nachkriegsirak beleuchtet bereits die Schwierigkeiten, die der „demokratischen Mission“ der USA entgegenstehen. Zwar ist die UNO selbst ein Konglomerat gänzlich unterschiedlicher, sich oft widersprechender einzelstaatlicher Interessen. Aber die durch sie verkörperte Völkerrechtsordnung als einzige Legitimationsinstanz bleibt bestehen, während die Wunschvorstellungen vom Welthegemon USA an ihrer inneren Widersprüchlichkeit scheitern werden.

CHRISTIAN SEMLER