Die Stunde des Pentagons

Im US-Verteidigungsministerium wird an der Umsetzung der Vision eines „amerikanischen Internationalismus“ gearbeitet

Die Invasion in den Irak hat die Weltordnung verändert, sie hat einen Präzedenzfall geschaffen“

aus Washington MICHAEL STRECK

Amerikas Neokonservative strotzen vor Selbstbewusstein. Ihre jahrlang gehegten Träume werden wahr. Ihre Weltidee nimmt endlich konkrete Formen an. Noch bevor US-General Tommy Franks, Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte im Irak, am vergangenen Mittwoch durch die Präsidentenpaläste in Bagdad schritt und damit auch symbolisch die Eroberung des Landes vollzog, noch bevor in Ansätzen klar ist, wie der Wiederaufbau vonstatten gehen wird, drohten die Falken in Washington bereits mit dem nächsten Krieg gegen Syrien.

Der überraschend schnelle militärische Triumph über Saddam Husseins Regime, die geringen eigenen Verluste und die Bilder jubelnder Iraker erzeugen im Weißen Haus und im Pentagon allgemeines Schulterklopfen. Von der entschlossenen und überlegenen Supermacht eingeschüchtert, signalisieren Nordkorea und Iran, die anderen beiden Staaten der „Achse des Bösen“, plötzlich Entgegenkommen – ganz so, wie es ultrarechte Vordenker wie Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und sein Vize Paul Wolfowitz prophezeit haben. Sie sind überzeugt, eine „Pax Americana“ werde der Welt schließlich zu mehr Frieden und Sicherheit verhelfen.

Mit der Niederlage des irakischen Diktators hat sich die neokonservative Denkschule einer aggressiven Machtpolitik endgültig durchgesetzt. Dies ist die Stunde des Pentagons. Verteidigungsbeamte sprechen offen davon, dass sich die Feinde der USA fürchten und am Irak ein Beispiel nehmen sollten. Es war Wolfowitz, der als Erster Syrien öffentlich ins Visier nahm. Längst führt das Verteidigungsministerium den Ton in der Außenpolitik an. „Fakt ist, dass es im Pentagon eine Reihe von Leuten gibt, die strategisch denken und ausformulierte Visionen haben. Und es gibt dazu kein Äquivalent im Außenministerium“, sagt Zbigniew Brzezinski, formals Sicherheitsberater von US-Präsident Jimmy Carter.

Einflussreiche neokonservative Strategen, die in der Ära des demokratischen Präsidenten Clinton ihr „Project for the New American Century“ vorantrieben, sitzen heute im Pentagon und arbeiten mit Eifer an der Umsetzung ihrer in den 90er-Jahren ausformulierten Vision eines „amerikanischen Internationalismus“. Ihr Vorteil: Sie verfügen über ein in sich geschlossenes Weltbild. „Das Außenamt ist deutlich in der Defensive“, sagt Christopher Preble vom liberal-konservativen Cato Institute. Es könne mit keinen intellektuellen Vordenkern aufwarten. Colin Powells Behörde habe völlig versagt, der Öffentlichkeit Gegenpositionen zu den Hardlinern im Pentagon darzustellen.

Doch auch das Image des Chefdiplomaten selbst ist schwer angekratzt. Powell, der bislang hohes Ansehen und Glaubwürdigkeit genoss, warf sein ganzes politisches Gewicht in die Waagschale, um vor der UNO die Beweise gegen den Irak vorzulegen. Doch Saddam Husseins angebliche Massenvernichtungswaffen, die lauthals verkündete Rechtfertigung zum Krieg, müssen erst noch gefunden werden. „Kann es sein, dass unsere politischen Führer uns in den Krieg geschickt haben und selbst nicht glaubten, was sie uns als Wahrheit verkauft hatten?“, fragt Washington Post-Kommentator William Rasperry.

Die Pentagon-Falken mussten diese Pirouetten gar nicht erst schlagen. Sie machten von Anfang an keinen Hehl aus ihren eigentlichen Zielen: Regimewechsel und Neuordnung des Nahen Ostens nach den Vorstellungen Washingtons. Die Drohgebärden gegenüber Syrien sind daher für sie nur folgerichtig. Das Säbelrasseln hat für die Bush-Regierung zudem den angenehmen Effekt, dass die geballte Aufmerksamkeit vom Irak umgeleitet wird und die Schar der Medien- und Politik-Experten darüber grübelt, was die martialische Rhetorik zu bedeuten hat.

Dem Chaos im Nachkriegsirak, den unausgegorenen Wiederaufbauplänen und Versäumnissen der US-Truppen zum Beispiel beim Schutz von Hospitälern wird nur noch halb so viel Beachtung geschenkt. Kritiker erinnert dieses Schema an Bushs ersten Krieg gegen Afghanistan und sein vollmundiges Versprechen, das Land am Hindukusch wieder aufzubauen. Bush folge dem Muster von „Erobern und anschließender unheilvoller Vernachlässigung“, meint Paul Krugman in der New York Times. „Unheimlich ist, dass dieser Ansatz wahrscheinlich Erfolg verspricht, da der erste Triumph die Schlagzeilen bekommt. Leider muss der Rest der Welt mit den zurückgelassenen Trümmern leben.“

Die „Neocons“ versprechen sich von ihrer zur Bush-Doktrin erhobenen außenpolitischen Formel mehr globale Sicherheit. Dies sei ein Irrtum, warnt Akbar Ahmed, Nahost-Experte an der American University in Washington. „Die Invasion in den Irak hat die Weltordnung verändert. Sie hat einen Präzedenzfall geschaffen, dem andere Staaten folgen können.“

Auch für John Ikenberry, Politik-Professor an der Georgetown University in der US-Hauptstadt Washington, sind die Konsequenzen aus dem Irakkrieg Besorgnis erregend. Keine konventionelle Streitmacht könne es mit der einzig verbliebenen Supermacht aufnehmen. Die Folge des technologischen Grabens zwischen den Vereinigten Staaten und dem Rest der Welt wird der Wunsch sein, sich Raketen mit nuklearen Sprengköpfen zu besorgen. „Viele Staaten werden versuchen, in die Fußstapfen Indiens und Pakistans zu treten“, meint John Ikenberry. „Allein diese Option verspricht Schutz vor den Machtgelüsten im Weißen Haus.“