Kripo Sachsen, Abt. Morgenland

Mit Glück landeten Arabisten an der Uni oder in einer Bank. Nun ist jeder gefragt

aus Dresden und Leipzig KIRSTEN KÜPPERS

Jetzt ist sie also bei der Polizei Sachsen gelandet. In einem schmalen Büro draußen am Stadtrand, nah ist hier nur der Autobahnzubringer. Zufällig kommt hier keiner mal eben vorbei. Und wenn doch, dann würde er am Pförtner scheitern, an der Elektroschranke, am fehlenden Betriebsausweis. Das Zimmer, in dem sie sitzt, liegt am Ende eines langen Flurs im vierten Stock des Gebäudes, Sabine Keller teilt es sich mit einer Kollegin, das Fenster guckt auf die gegenüberliegende Hauswand. Eigentlich hat Sabine Keller einen anderen Namen, aus Sicherheitsgründen muss er geheim bleiben.

Früher hätte es so was nicht gegeben, dass es eine wie Sabine Keller hierhin verschlägt, dass sie in einem abgelegenen Büro sitzt und ihren Namen nicht herumerzählen darf, jemand Aufgeschlossenes, Freundliches wie sie. Eine mit so einem Studium. Eine, die fließend Arabisch spricht, die die Welt bereist hat von Italien bis Costa Rica und Ägypten.

Dass die 29-Jährige beim LKA, beim Landeskriminalamt Sachsen gelandet ist, hat mit den Ereignissen vom 11. September 2001 zu tun. Seither sucht Deutschland nach Menschen wie Sabine Keller. Menschen, die sich auskennen mit dieser Religion, dieser Sprache, der Kultur, den Gepflogenheiten. Menschen, die helfen gegen die große Ratlosigkeit, die herrscht.

Das LKA Sachsen hat eine Annonce in die Zeitung gesetzt, im Januar vergangenen Jahres war das. Eine Person, die Islamwissenschaften studiert hat, haben die Beamten gesucht, eine, die Arabisch versteht, eine erfahrene und belastbare Kraft. Sabine Keller saß da noch in einem Haus in Frankfurt am Main, das zum Dachverband der Volks- und Raiffeisenbanken Hessen, Thüringen und Rheinland-Pfalz gehört. Sie saß am Computer an einem Arbeitsplatz in einer Abteilung, wo keiner Arabisch zu können braucht. Sie hat die Anzeige aus Sachsen gesehen und sich beworben. „Eine einmalige Chance“, sagt sie.

Aus mehreren Dutzend Kandidaten wurde sie ausgewählt. Seither arbeitet sie in diesem Büro. Auf dem Schreibtisch liegen Zeitungen, auf einem kleinen Bildschirm in der Ecke dröhnt der Fernsehsender al-Dschasira.

Nun kann man sich fragen, warum ausgerechnet das LKA Sachsen eine Islamwissenschaftlerin braucht. Es ist ja nicht so, dass man in dieser Region, wo die Orte Großröhrsdorf und Crimmitschau heißen, dass man in dieser Gegend das Zentrum radikalislamischer Terroraktivitäten vermutet. Hier in Ostdeutschland, wo die Menschen von anderen Problemen gebeutelt sind, sollte man meinen. Wo die Zeitungen gewöhnlich über Arbeitslosigkeit, die Nachwirkungen der Flutkatastrophe und ab und zu über einen rechtsradikalen Übergriff schreiben. Ein Bundesland, in dem mit 2,4 Prozent Ausländeranteil überhaupt nur sehr wenige Fremde leben.

Aber nachdem die Terroristen mit den Flugzeugen in die New Yorker Hochhäuser geflogen sind, haben sich die Polizisten überall in ganz Deutschland zu Konferenzen zusammengesetzt, sie haben beraten, wie sehr das Ereignis in Amerika ihre eigene Arbeit betrifft. Die Beamten haben nach Spuren gesucht, sie haben in die Computer geguckt, haben Vorfälle, Namen und Kontakte verglichen.

Es mag die anderen Polizeipräsidenten bei einer der vielen Konferenzen überrascht haben, aber ihr sächsischer Kollege hat sich hingestellt und hat gezeigt, dass sich sehr wohl Verbindungslinien ziehen lassen zwischen seinem Bundesland und islamistischen Terrornetzwerken. So führt zum Beispiel eine Spur der Ermittlungen um die Sprengstoffanschläge gegen US-Botschaften in Nairobi und Daressalam 1998, die mit al-Qaida und Ussama Bin Laden in Verbindung gebracht werden, über ein Bekennerschreiben von London direkt nach Sachsen. Auch unter den im April vergangenen Jahres in Nordrhein-Westfalen festgenommenen Mitgliedern der Gruppierung at-Tawhid, denen die Planung von Anschlägen in Deutschland nachgesagt wird, war eine Person aus Leipzig. Kurzum, der sächsische Polizeipräsident hat Geld beim Innenminister beantragt. Zwei Stellen für Islamwissenschaftler wurden geschaffen.

Jetzt arbeitet Sabine Keller also schon ein Jahr mit ihrer Kollegin in ihrem Büro, Abteilung politischer Staatsschutz. Es ist nicht einfach herauszufinden, was sie da genau macht. Alles ist sehr geheim. Schießen hat Sabine Keller nicht gelernt, auch nicht, wie man Handschellen anlegt, und wenn man sie fragen will, was sie denn dann eigentlich so tut bei der Polizei, kommen gleich ihr Chef herbeigelaufen und der Pressesprecher, sie passen auf, dass ihre junge Mitarbeiterin nicht zu viel verrät. „Ich arbeite präventiv“, sagt sie.

Morgens, wenn sie ins Büro kommt – das darf Sabine Keller immerhin erzählen – liest sie als Erstes arabische Tageszeitungen, sie guckt ins Internet, verfolgt al-Dschasira auf ihrem Fernseher. Die wichtigsten Nachrichten fasst sie in einem Lagebericht zusammen, den sie zur täglichen Besprechung mit den Kollegen mitnimmt. Sie recherchiert zu verschiedenen islamischen Gruppierungen, bereitet Vorträge vor.

Am 21. September 2001 wurde in Sachsen eine Rasterfahndung angeordnet. Nach einem Täterprofil, das an den Terroristen vom 11. September 2001 ausgerichtet war, wurden Meldebehörden, Universitäten, Hochschulen, Sprachschulen, Flugschulen und das Ausländerzentralregister überprüft. Die Auswertung der Daten ist noch im Gange. Im Zuge dessen begleitet Sabine Keller ihre Kollegen bisweilen zu Verhören oder wertet sichergestellte Materialien aus.

Zudem hat sie eine Broschüre verfasst. Dort können die sächsischen Ermittler nachlesen, dass man besser die Schuhe auszieht, bevor man eine Moschee betritt, dass man bei Terminen mit Muslimen die Gebetszeiten beachten soll, dass es unhöflich ist, einen Muslim mit Handschlag zu begrüßen. Solche Dinge. „Sehr hilfreiche Hinweise für die Kooperation mit Einflusspersonen arabischer Herkunft“, nennt ihr Chef das, „vorher gab es so was bei uns nicht“, und er guckt ganz stolz und anerkennend herüber zu seiner neuen Mitarbeiterin, weil, natürlich ist es toll, dass seine Abteilung sich jetzt einen wissenschaftlichen Beistand wie Sabine Keller leistet, und ein bisschen von dem Erfolg dieser Arbeit fällt ja auch auf einen selbst zurück als Vorgesetzten.

Und dass die Einstellung von Sabine Keller ein voller Erfolg für das LKA Sachsen gewesen ist, darüber sind sich alle einig. „Die Polizei ist jetzt in jedem Fall besser auf Straftaten im Bereich des islamischen Terrorismus vorbereitet als vor dem 11. September 2001“, hat der sächsische Polizeipräsident vor kurzem in einem Referat vor den Kollegen vom Verfassungsschutz erklärt. „Wir sind sehr zufrieden“, meint der Vorgesetzte von Sabine Keller mit einem Raubtierlächeln. „Die Situation ist besser geworden“, erklärt auch der Pressesprecher und rührt in seinem Kaffee.

Täglich sammelt die Mitarbeiterin des LKA Nachrichten aus der arabischen Welt

Da, wo Sabine Keller studiert hat, an der Universität Leipzig, da, wo sie alles gelernt hat, was sie jetzt braucht, da sitzt ein Mann mit buschigem Bart in seinem Sprechzimmer. Er heißt Eckehard Schulz und sagt: „Wenn Sabine es beim LKA schafft, Verständnis für den Islam zu gewährleisten, dann ist das sehr gut.“ Er sitzt in einem Universitätsgebäude in Leipzig und er muss es wissen. Er war ihr Professor. Und so wie seine ehemalige Studentin nun bei der Polizei beansprucht wird, werde derzeit jeder seiner Absolventen gebraucht, sagt Schulz.

Früher war das nicht so. Da sind seine Studenten vielleicht mal bei einer Bank untergekommen, manche bei Entwicklungshilfeorganisationen, sie haben als Dolmetscher gearbeitet, sind an der Uni geblieben oder haben etwas ganz anderes gemacht. Aber jetzt, ja, jetzt rufen die alle an, meint Schulz: der Verfassungsschutz, die Wirtschaft, die Medien. Sie rufen ihn an, weil er Professor ist am Orientalischen Institut hier in Leipzig, dem renommiertesten Lehrstuhl für Arabistik in Deutschland. Sie rufen ihn an und fragen, ob er ihnen nicht dringend jemanden vermitteln kann, einen Experten für die Region, die Sprache, die Kultur.

Man kann nicht sagen, dass diese Anrufe Eckehard Schulz wirklich bewegen. Vielleicht ist die Nüchternheit eines deutschen Hochschulbüros die notwendige Voraussetzung für den unbarmherzigen Blick nach draußen, vielleicht hätten die Anrufe auch einfach früher kommen müssen. „Der Westen hat die Probleme in der arabischen Welt viel zu lange ignoriert“, sagt Schulz. Er selbst habe weit vor dem September 2001 vor der immer brisanter werdenden Lage der Bevölkerung in den arabischen Ländern gewarnt.

Eckehard Schulz ist einer, der schon 1999 mit seinen Studenten eine Datenbank zu religiösen und politischen Gruppierungen in der arabischen Welt ins Internet gestellt hat, einer, der im letzten Semester mit seinen Studenten die Videos von Bin Laden übersetzt hat. Und wenn er einmal über den Westen ins Schimpfen gerät, dann kann man einiges zu hören kriegen über die Dummheit und Desinformiertheit der Leute.

Irgendwann sagt er, und da ist er schon mit seinem Bürostuhl hinter dem Schreibtisch vorgerollt und hat seinen Pfeifentabak ausgepackt, er sei zumindest froh, dass die Menschen sich heute mehr interessieren für den Islam als früher. „Die Leute wissen inzwischen, dass die Scharia nicht nur die Sache mit dem Handabhacken ist.“ 250 Arabistik-Studenten gibt es derzeit in Leipzig, das sind doppelt so viele wie noch vor einem Jahr.

In einem Büro am Stadtrand von Dresden am Ende eines langen Flurs im vierten Stock des sächsischen Landeskriminalamts läuft ein Fernseher. Er zeigt den Sender al-Dschasira, und gegenüber sitzt Sabine Keller an ihrem Schreibtisch und sucht die Bilder nach Informationen ab. Vielleicht werden die Polizeibeamten in den anderen Bundesländern bald nachziehen, das Bundeskriminalamt hat ja schließlich auch Islamwissenschaftler eingestellt. Vielleicht hat demnächst jedes Kriminalamt einen eigenen Islamexperten mit einem Al-Dschasira-Fernseher. Und nicht nur jedes Kriminalamt, sondern auch jedes Polizeirevier. Es kann noch dauern, bis es so weit ist. „Na klar leisten wir jetzt erst mal Amtshilfe, wenn eine Anfrage von den Kollegen kommt“, meint der Chef von Sabine Keller. Er sagt es mit der gönnerhaften Geschmeidigkeit desjenigen, der findet, dass er und seine Leute hier wirklich mal ganz vorne dran waren mit einer Idee.