Vor Juli nicht ans Schlafen denken

Medienmädchen II: Dagmar Engel ist seit zehn Monaten Chefredakteurin der Deutschen Welle – und in zwanzig Jahren vielleicht Bundespräsidentin. Auf jeden Fall weiß sie, was Frauen unbedingt brauchen, um in Medienberufen weit nach vorne zu kommen: Zähigkeit, Kompetenz, Humor und Stil

von MAREKE ADEN

Mit 15 wusste Dagmar Engel, dass sie Journalistin werden wollte. Dann ließ sie sich Zeit. Sie war 33 Jahre alt, als sie sich ein konkretes Ziel setzte. Zu Kollegen sagte sie: „In zehn Jahren wäre ich gern irgendwo Chefredakteurin.“ Jetzt ist sie 43. Und seit zehn Monaten ist sie Chefredakteurin der Deutschen Welle.

„Straight“ sei Dagmar Engel, heißt es in ihrer Redaktion, sehr straight sogar. Sie weiß, dass man so über sie denken kann. Den Zeugen ihres Zehnjahresplans habe sie vor kurzem gesagt, „in zwanzig Jahren bin ich Bundespräsidentin“, erzählt sie. Sie lacht. Das sei selbstverständlich nur eine Anekdote.

Eigentlich hat Engel zwei Jobs: Als Nachrichtenchefin hat sie die wichtigste Redaktion unter sich und ist für das Aktuelle verantwortlich. Als Chefredakteurin bestimmt sie das tägliche Programm des weltweit ausgestrahlten ARD-Auslandsfernsehens. In beiden Rollen muss sie planen, koordinieren, Sendungen kritisieren. Konkret bedeutet das: Konferenzen, Sitzungen, Besprechungen. Das klingt nicht spannend, aber Dagmar Engel sagt, sie könne genau das machen, was ihr Spaß macht: „gestalten“.

Sie hat hart gearbeitet, um endlich gestalten zu können. Jetzt, wo sie Chefin ist, hört der Stress immer noch nicht auf. „Juli ist auch ein guter Monat zum Schlafen“, sagt sie im April. Hat sie mehr gearbeitet, als ein Mann das gemusst hätte, um so weit zu kommen? Das Problem von Frauen, nach oben zu gelangen, sei ein Klischee, meint sie. Aber Klischees seien ja auch wahr. Ein wenig. Dagmar Engel spricht über ihre Nehmerqualitäten, und die Wahrheit im Klischee nimmt Konturen an: „Wenn eine Frau aufgibt, weil sie einmal auf heftigen Widerstand gestoßen ist, dann kommt sie nicht weit.“ Sie geht an den Computer. Sie bereitet eine Sitzung vor, schaut konzentriert auf den Bildschirm und zählt vier „Sachen“ auf, die eine Frau mit Chefambitionen dringend braucht: Zähigkeit, Kompetenz, Humor und Stil.

Ein Blick auf ihren Lebenslauf lässt ahnen, woher das Wort „Karriereleiter“ kommt: Reporterin, Redaktionsleiterin, Washington-Korrespondentin, stellvertretende Chefredakteurin, Chefredakteurin. „Das hört sich jetzt sehr geradlinig an“, findet auch Dagmar Engel. In Wirklichkeit gehöre aber auch Zufall dazu. Ihren ersten Job hat sie gekündigt. Bei einer kleinen Essener Produktionsfirma wollte sie nicht länger filmische Gebrauchsanweisungen für Staubfilteranlagen drehen. Sie wurde freie Mitarbeiterin des WDR. „Zwei Monate später war ich angestellt.“ Aber auch diese Stelle verließ sie noch in der Probezeit, um beim Rias als Reporterin zu beginnen. Aus Rias ging die Deutsche Welle hervor.

Das Ende ihrer Karriereleiter hat sie noch nicht erreicht, wenn es nach ihr geht. „Natürlich habe ich noch Pläne. Aber wenn ich jetzt sage, welche, dann kann ich genauso gut sagen: ‚Ich hatte Pläne‘.“ Arbeitet sie als Chefin anders als ein Chef? Dagmar Engel antwortet so: Das Prinzip „Ich sage, was gemacht wird. Erst A, dann B, dann C“ wolle sie aufbrechen. Sie lasse die Leute reden und nutze so das Potenzial, das auf jeder Konferenz schlummert. Maren Wintersberg, Engels Stellvertreterin in der Nachrichtenredaktion, beantwortet die Frage so: Engels Stil sei modern und leidenschaftlich, und in der Redaktion sei sie unumstritten. Die Art der Führung habe sich unter Engel „dramatisch“ verändert im Vergleich zum männlichen Vorgänger.

In der sich anschließenden Morgenkonferenz tritt einer der Männer entschieden dafür ein, dass die Chefin in die „Schweinchenkasse“ einzahlt – eine Art Sexismus-Obolus. Im Oster-Interview hätte sie nämlich lieber Bischof Huber als Kardinal Ratzinger. Weil Huber besser aussehe. „Oho, Dornenvögel“, feixen die Mitarbeiter.

Später sagt Engel, dass sie gern mit Frauen zusammenarbeitet, Frauen seien einfach höflicher im Umgang. Sie sagt, vom Wort „Stutenbissigkeit“ bekomme sie Pickel. Und dass sie allen Leuten eine Chance gibt, die gut arbeiten. Dass Frauen in der Regel gut arbeiten. Und dass sie mehr nicht sagen kann, ohne dass man es ihr falsch auslegt. Sie ist sicher, dass in 20 Jahren viel mehr Frauen in Spitzenpositionen sein werden. Nicht weil sie glaubt, dass sich die Männer ändern werden. Die zögen sich als Nachfolger Menschen heran, die ihnen möglichst ähnlich sind. Männer eben. Nein, der Grund sei einfach: Im Moment sind zwei Drittel aller Berufsanfängerinnen Frauen. „Durch die schiere Menge wird der Druck so groß, dass die Aufgaben besser verteilt sein werden.“

In Dagmar Engels Büro hängt ein Plakat. Darauf steht: „Bereue nicht, gehorche keinem, halte dich an nichts, behalte Recht.“ Wenn sie tatsächlich Recht behält, dann werden Frauen in 20 Jahren darauf nicht mehr angewiesen sein.