Wider den Kaugummiproduktionsjournalismus

Herbert Riehl-Heyse, leitender Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“, schrieb ein Buch über Ethik und Poetik des Medienbetriebs

Achtung, hier spricht ein Grantler. Ein Moralist. Einer, der den Journalismus liebt und doch immer wieder an ihm verzweifelt – weil Journalisten stets den gleichen Versuchungen erliegen: der Versuchung zur Faulheit, „die Journalisten gerne dazu führt, voneinander abzuschreiben“, der Versuchung des Herdentriebs , der Versuchung zur Verharmlosung oder Hysterisierung.

Die Fallen, in die Journalisten geraten, wenn sie vom „Pfad der Tugend“ abweichen, darüber schrieb Herbert Riehl-Heyse ein Buch. Für die Wiener Studenten der Publizistik hat der leitende Redakteur der Süddeutschen Zeitung im Mai 2001 in vier Vorlesungen seine „Poetik des Journalismus“ zu Papier gebracht. Und weil er fürs Sprechen geschrieben hat, meint man ihn beim Lesen fast vor sich zu sehen, wie er seine langen Bandwurmsätze leise, aber mit Inbrunst hervorstößt.

Wenn er sich etwa über die „Manie des Enthüllens“ ärgert, „des Am-Kochen-Haltens des immer selben Skandals oder der Skandalisierung eines unwichtigen Vorgangs, eine Manie, die – wenn mein Eindruck aus dieser Zeit zutrifft – zur Trivialisierung der Politik ebenso beitragen könnte wie vielleicht zu einer Politikverdrossenheit, die manche Wahlerfolge mancher Partei in Österreich erklären könnte“.

Pflichtlektüre

Es ist insgesamt wenig Neues, was Riehl-Heyse zu sagen hat, und einiges wiederholt sich auch, da der Verlag die Vorlesungen zusammen mit einigen Artikeln aus den Jahren 2001 und 2002 veröffentlicht hat. Dennoch möchte man das Buch Journalisten als Pflichtlektüre empfehlen, weil es zum einen Spaß macht, den Autor beim Verfertigen seiner Gedanken zu beobachten. Zum Zweiten wird beim Lesen auch klar, warum er zu Recht als einer der Großen im Journalismus gilt: weil er seinen Beruf liebt und weil er gleichzeitig kritisch-ironische Distanz zu ihm und zu sich selbst wahrt. Fast schon wohltuend ist es, wenn Riehl-Heyse daran erinnert, dass „Medien eben nicht ein Geschäft wie jedes andere“ sind, „was man zum Beispiel daran erkennen kann, dass die Produktion von Kaugummis nicht unter dem Schutz des Grundgesetzes oder der österreichischen Verfassung steht“. Fast hätte man es vergessen, in diesen Zeiten, da die Chief Executive Officers in den Verlagen und Medienhäusern den Ton angeben.

Der Autor propagiert ausgerechnet die Zeitung als „Gegenprogramm zum Fachidiotentum“, als „eine der letzten Klammern einer immer weiter auseinander driftenden Gesellschaft“. Doch seine eigene Zeitung ist kaum in der Lage, eine solche Integration zu leisten. Wenn, dann könnte das allenfalls die Zeitung, „die im Wesentlichen in großen Buchstaben gedruckt“ ist und für die er wenig Sympathie hegt.

Wenn Qualitätsjournalismus sich also am Markt nicht durchsetzen kann, wie sollte er dann Macht haben? Nein, auch einem der Besten fällt es nicht leicht, Optimismus zu verbreiten. Resignierend und etwas selbstgefällig kommt Riehl-Heyse zu dem Schluss, je älter Journalisten würden, „desto weniger Illusionen machen sich gerade die Besten über ihre Wirkungen und Erfolge“. Aber auch die Selbstgefälligkeit verzeiht man ihm, weil er morgen wie Sisyphos den Stein erneut Richtung Gipfel rollen und den nächsten Artikel schreiben wird: wider die deutschen Unsinnsdebatten über den Stolz, wider die Umkehrung der Wichtigkeiten und für den unabhängigen Qualitätsjournalismus. Und wie Sisyphos müssen wir ihn uns als einen glücklichen Menschen vorstellen.

DIEMUT ROETHER

Herbert Riehl-Heyse: „Arbeiten in vermintem Gelände – Macht und Ohnmacht des Journalismus“. Picus Verlag, Wien 2002, 14,90 Euro