Unis sparen sich Studenten

Die drei großen Berliner Unis zeigen Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) die rote Karte. Wegen seiner weiteren Einsparforderungen wollen die Unis im Winter keine neuen Studenten mehr aufnehmen

von ADRIENNE WOLTERSDORF

Mit drastischen Maßnahmen wollen die drei großen Berliner Universitäten auf die neuen Sparpläne von Finanzsenator Sarrazin (SPD) reagieren. Die Humboldt-Universität (HU), die jährlich knapp 6.000 neue Studierende immatrikuliert, will bereits im kommenden Wintersemester niemand mehr aufnehmen. Technische Universität (TU) und Freie Universität (FU) wollen einen Numerus clausus für sämtliche Fächer erlassen.

Die Universitätspräsidenten kündigten gestern zudem an, erstmals in der Nachkriegsgeschichte einen totalen Einstellungsstopp einzuführen. Sie erwägen zudem einen Abbruch der Verhandlungen mit dem Senat über die Fortsetzung der Hochschulverträge für 2006 bis 2009. Grund für die drastischen Drohgebärden ist Sarrazins Andeutung, von 2006 an den Zuschuss für die Universitäten um 200 Millionen Euro jährlich zu senken. Diese Summe wurde von der Finanzverwaltung bislang nicht offiziell genannt. Die Hochschulpräsidenten sprechen davon, dass Sarrazin Sparsummen zwischen 200 und 600 Millionen Euro nenne.

Solche Sparzwänge haben Konsequenzen, rechneten die Unichefs vor. In der Summe ergebe Sarrazins Spardiktat die Streichung der TU, deren vom Land gezahlter Etat 270 Millionen Euro betrage. Ab sofort werde die TU daher niemanden mehr einstellen, kündigte ihrPräsident Kurt Kutzler an. Das führe zum Beispiel im Fach Informatik in den nächsten Jahren zur Streichung von 17 von 23 Stellen. „Kein Studiengang kann künftig mehr ordentlich abgeschlossen werden.“ Auch HU-Präsident Jürgen Mlynek kündigte an, möglicherweise ab 2004 alle frei werdenden Stellen ersatzlos zu streichen, was wiederum die Einwerbung von Drittmitteln erschweren werde. Insgesamt würden in Berlin rund 20.000 ausfinanzierte Studienplätze wegfallen. Für die FU bedeute das erneute Spar-Rodeo „de facto das Ende der Lehrlingsausbildung, der Dahlem-Konferenzen und des Botanischen Gartens“, so deren Präsident Peter Gaehtgens.

„Das Szenario ist dramatisch“, sagten die Unichefs in der Hoffnung, mit diesen Angaben die Öfffentlichkeit aufzurütteln. „Wir protestieren nachdrücklich gegen die Politik des Landes“, setzte Gaethgens nach. Den kürzlich vom FU-Politologen Peter Grottian vorgeschlagenen Lohnverzicht der Hochschulbeschäftigten lehnte Gaethgens vehement ab. „Wir leben doch nicht auf den Fidschi-Inseln, sondern in einem offenen Hochschulsystem“, wetterte er. Zehn Prozent weniger für Professoren bedeute einen massiven Wettbewerbsnachteil Berlins gegenüber anderen Hochschulstandorten. „Was uns ärgert“, fasste Mlynek die konzertierte Protestaktion zusammen, „ist, dass wir gegen die Wand gefahren werden, ohne dass wir uns wehren können.“

Unterstützung bekamen die Berliner Unis gestern von den Fachsprechern von CDU, FDP und den Grünen. Sogar der wissenschaftspolitische Sprecher der PDS, Benjamin-Immanuel Hoff, kritisierte Sarrazin. Er torpediere die Vertragsverhandlungen der Unis mit dem Senat. Einzig Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) ließ verlauten, dass er zwar die Sorge der Unis verstehe, es aber „keinerlei politische Beschlüsse“ gebe, „die solche Reaktionen rechtfertigen“.