Seelsorger am Gletscher

Der Däne Olafur Eliasson vermittelt mit seinen Kunstwerken neue Erkenntnisse über die Elemente. Seine aktuelle Lichtinstallation „Sonne statt Regen“ ist derzeit im Kunstbau München zu sehen

von HEIKE ENDTER

In der letzten Ausgabe der Zeitschrift Art Investor, in der Kunstschaffende und geschaffene Kunst wie Aktien in Börsenzeitungen mittels kleiner Pfeile bewertet werden, erhielt Olafur Eliasson keinen Pfeil, der straff nach oben in den kaufseligen Himmel weist. Obwohl seine Arbeiten in Kunstkreisen außergewöhnlich geschätzt werden, zeigte der Pfeil schlicht zur Seite. Zur Begründung hieß es, seine Arbeiten seien nur für Unternehmen oder Museen geeignet – oder für Privatleute mit riesigem Garten.

Olafur Eliasson wurde 1967 in Kopenhagen geboren, wanderte zeitweise gerne durch Island und baute dort spielerisch kleine Wasserfälle. Dann studierte er in Kopenhagen und Köln Kunst. Auch in Köln baute er einen Wasserfall, der von einem metallenen Baugerüst stürzte. Das waren Natur plus Kultur plus die Erkenntnis, dass man es, trotz gewisser Ähnlichkeiten, nicht mit einem natürlichen Wasserfall zu tun hat. Eliasson beschäftigt sich besonders mit Natur, Kultur und Erkenntnisproblemen. Nun lebt er in Berlin, wo er eine Werkstatt unterhält. Außerdem arbeitet er, je nach Projekt, mal mit einem Landschaftsgärtner oder anderen SpezialistInnen zusammen. Andere von Eliassons Installationen bestanden aus Materialien, die so grundlegend und dabei großartig sind, dass sie Grundstoffe des Lebens und vieler Mythen bilden. Das sind Licht, Erde, Regen, Wasser, Eis. Die in der Natur vorkommenden Stoffe versetzte er an Stellen, von denen die Menschen sie bewusst verbannen. Er holte Natur in Häuser. Nicht in solchen gewöhnlichen Formen wie Topfpflanzen, streunende Katzen oder Erdbatzen, die unter Wanderschuhen kleben. Sondern in Form von Nebel oder Wasser, die er auf unkultivierten Wegen – kultivierte wären Wasserrohre, Inhaliergeräte usw. – durch Häuser und ganz Städte bewegte. Durch Johannesburg zum Beispiel ließ er 600.000 Liter Wasser laufen. Das dauerte etwa zwei Stunden. Auch wenn die Differenz zwischen Natur und Kultur vielleicht nur eine fiktive ist (weil man sich fragen muss, wo Menschen noch nichts, einfach durch ihre Existenz, verändert, also kultiviert haben und zweitens: ob die Existenz von Menschen nicht auch etwas Natürliches ist), veranlasst ihn vermutlich eben genau diese Art Unterschied zu seinen beeindruckenden Kunstwerken.

Im Münchner Kunstbau ist nun reichlich Platz vorhanden, und es ist gut, das Wörtchen „grandios“ parat zu haben, wenn es darum geht, über die Lichtwand zu sprechen, die Eliasson vor kurzem dort installiert hat. Computerfachleute immerhin waren nötig, um das Farbspiel der Lichtwand in München zu regulieren. Sie besteht aus 1.300 Leuchtstoffröhren in Grün, Rot und Blau, die hinter einer lichtdurchlässigen Folie verstaut sind, wo sie eng nebeneinander leuchten und ihre Farben – so bewährt wie der heimische Fernseher und die augeneigenen Sehzäpfchen – nach dem additiven Prinzip mischen. Zu sehen sind dadurch allerlei Farbwolken – orange, hellblau, weiß und grün, rosa – die sich über die Wand bewegen und ihre Farbe wechseln.

Kulturelle Errungenschaften wie Leuchtstofflampen können dabei wie ein Naturphänomen wirken. Denn es ist ein wenig wie im glasigen farbigen Inneren eines Gletschers. Ein Gefühl, das von der höhlenartigen Architektur des Kunstbaus, einer ehemaligen U-Bahn-Station, unterstützt wird. Eine Lichtsauna oder was es sonst gibt an farbenfrohen Beleuchtungen, die Depressionen vertreiben sollen, ist eine mickrige Veranstaltung dagegen.

Am Eröffnungsabend in München wanderte Olafur Eliasson in schwarzer Kleidung durch den nun gletscherartigen Kunstbau. Sein Hemdkragen über dem Rand eines dunklen Pullovers war hell und wirkte wie das weiße Krägelchen eines mit seelsorgerischen Aufgaben betrauten Mannes. Eliasson macht sich tatsächlich viele Gedanken darüber, wie Menschen (seine) Kunstwerke betrachten und wie er sie dabei lenken kann. Und ob nicht ihre Augen, die ja nach demselben Prinzip Farben sehen, wie sie von seiner Lichtwand ausgesandt werden, nun selbstständig beginnen, Farben zu mischen, welche deshalb nicht wahrgenommen, sondern selbst produziert würden, dabei aber weiterhin den Eindruck einer Wahrnehmung machten. Was erkenntnistheoretische Betrachtungen angeht, liest er gern Texte von Henri Bergson.

Kunstbau München, bis zum 15. Juni