Gesetze und Gedenken

Als am 26. April 2002 der neunzehnjährige Robert Steinhäuser seinen Amoklauf begann, wurde im Bundesrat in Berlin fast zeitgleich über die Novellierung des Waffenrechts aus dem Jahr 1972 debattiert. Der Freistaat Thüringen leitete sofort ein Vermittlungsverfahren ein und forderte unter dem Eindruck der Geschehnisse in Erfurt, das Mindestalter für Erwerb und Besitz von Schusswaffen auf 25 Jahre anzuheben. Seit Januar 2003 gilt im Freistaat Thüringen: Kleinkalibrige Waffen bis 5,6 Millimeter können ab achtzehn Jahren (bisher sechzehn), großkalibrige Waffen ab 21 Jahren (bisher achtzehn) erworben werden, sofern das Ordnungsamt eine Waffenbesitzkarte ausstellt. So genannte Pumpguns wurden komplett verboten.

Zum Beginn des neuen Schuljahres im Herbst tritt in Thüringen auch ein neues Schulgesetz in Kraft. Darin vorgesehen ist eine mit dem Realschulabschluss vergleichbare Prüfung in der zehnten Klasse am Gymnasium. Bisher war Thüringen das einzige Bundesland, in dem es diese Prüfung nicht gab. Schüler, die das Abitur nicht bestanden hatten, mussten wie der spätere Amokläufer Steinhäuser die Schule ohne Abschluss verlassen.

Zehn Millionen Euro stellt die Bundesregierung für einen Umbau des Erfurter Gutenberggymnasiums zur Verfügung. Die Jury, in der auch viele Schüler, Eltern und Lehrer saßen, entschied sich für den Entwurf des Münchner Büros Koch und Partner. Durch das alte Gebäude soll ein gläserner, stegartiger Gebäudeteil gebaut werden, in den neue Klassenräume und die Aula integriert werden. Über die richtige Form des Gedenkens, zum Beispiel sechzehn Bäume für die Opfer oder eine einfache Tafel, wird noch diskutiert. Architekt Stefan Maisch sagt: „Wir wollen kein Mahnmal schaffen, sondern eine freundliche, fröhliche Schule, die über Generationen hinweg angenommen wird.“ Den Schülern ist vor allem wichtig, so schnell wie möglich wieder in ihre eigene Schule zurückzukönnen. Im Herbst 2004 soll es so weit sein.

Das Gutenberggymnasium hat seit Dezember zum ersten Mal eine Schülerzeitung. Im „Forum Gutenberg“ schreiben Schüler und Eltern über die Neugestaltung der Schule, berichten über Probleme aus dem Schulalltag oder über Klassenfahrten. In Interviews kommen die Schulleiterin, die Lehrer und Schülersprecher zu Wort. Die Thüringer Allgemeine, die zum WAZ-Konzern gehört, unterstützt das Projekt mit einer Redakteurin und übernimmt den Druck. Später soll die Zeitung von Schülern allein gestaltet und herausgegeben werden.

Heute, am 26. April 2003, findet ab 10.55 Uhr auf dem Domplatz in Erfurt unter dem Motto „Erinnern – Leben“ eine zentrale Gedenkveranstaltung statt. Um 11 Uhr, zu der Zeit, als genau vor einem Jahr das Massaker begann, ist für das gesamte Stadtgebiet eine Schweigeminute geplant. Den ganzen Tag über lesen Schüler im Gutenberggymnasium aus Kondolenzbriefen. Am Abend findet ab 19 Uhr in der Predigerkirche ein Gedenkgottesdienst statt. Alle Termine unter www.erfurt.de.

Im Gebäude des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt, Hugo-Preuß-Platz 1, sind zurzeit Kondolenzbücher, Transparente, Briefe und Geschenke zu sehen, die nach dem Amoklauf aus der ganzen Welt nach Erfurt geschickt wurden. Betreut wird die Ausstellung von Schülern des Gutenberggymnasiums. Geöffnet ist sie noch bis zum 9. Mai, und zwar montags bis freitags von 9 bis 18 Uhr. Am heutigen 26. April zusätzlich von 12 bis 17 Uhr.

HENNING KOBER