Dinge mit Pflaster

Manche Bücher sind dicker als andere: Sven Amtsbergs seltsames „Mädchenbuch“

Die Mädchen aus Sven Amtsbergs „Mädchenbuch“ sind fast allesamt Monster. Sie werden fett, haben einen Dutt, schneiden ihrer Katze die Beine ab oder kaufen von gläubigen Inderinnen Haut für ihre Schönheitsoperation. Und die Jungs, die von ihnen erzählen, sind keinen Deut besser. Sie weinen viel, leiden an Depressionen und verhalten sich meistens ziemlich bescheuert. Und dann passiert etwas Ungeheuerliches, oder ihr Mädchen ist eben das Ungeheuerliche, das ihnen bereits passiert ist. Was dann noch mehr Weinerlichkeit nach sich zieht und gelegentlich auch eine pubertäre Rache- und Gewaltfantasie.

Ernst nehmen muss man das nicht. Mit Studien von Frauen in Beziehungen oder von Beziehungen zu Frauen hat Amtsbergs Buch nichts zu tun. Im „Mädchenbuch“ reicht es, wenn es krude, grotesk und irgendwie seltsam hergeht: „Ich stehe nackt in Majoranfeldern. Sie blühen rot um mich herum auf dem Weg aus ihrem Zimmer. Das Kratzen hört auf. Ein Klavier spielt. Im Flur haben die Fotografien Farbe bekommen. Aus der Küche zieht es.“

An den schwachen Stellen seines Debüts geht Amtsberg mit Worten um wie mit Zelluloid. Als vertraue er seinem Material als Träger einer Geschichte, die er nur noch zusammenschneiden muss. Er erzählt weniger, als dass er Stimmungen gestaltet. An den wenigen wirkungsvollen Stellen transportiert er in diesen Stimmungen flüchtige Momente von Innigkeit und Vergänglichkeit. Maria, Anna, Anni oder Annemon heißen die Mädchen – sehr viel mehr als die austauschbaren Namen erfährt der Leser über die Erzählgegenstände nicht. Und auch über die jeweils unterschiedlichen Icherzähler nicht. Kühler, lakonischer Bericht statt Innenleben, Dialog ist Wiederholung des Banalen, Beschreibung ist Beschreibung des Äußerlichen. So wimmelt es im „Mädchenbuch“ von örtlichen Details: Wohnungen, Tapeten, Tigerbettwäsche, die Farbe Braun herrscht vor, Grau kommt gleich danach. Und dann Gerüche und Düfte: Haartalg und Wohnungsmief.

Das klingt so spröde, wie es ist. Dass Amtsberg seine 62 Mädchen-Reminiszenzen an den Formalisierungsgeboten des berüchtigten „Hamburger Dogmas“ orientiert, deren Verfassern er nahe steht, ist kein Trost. Unterm Strich bleibt bei seiner Kurz- und Kürzestprosa der Eindruck gewollter Beiläufigkeit, die sehr viel aufgesetzter als beiläufig wirkt. Am knappsten spiegelt sich das in den „Dingen“ wider, die dieses Buch durchziehen. „Manchmal reden wir so Dinge“ oder „aßen Dinge mit Salz“, und „die Frauen machten Dinge mit Wasser in der Küche“.

Wie war das noch mit den Mädchen? Dinge mit Pflaster, vielleicht. Oder in Amtsbergs Worten: „Sie sagt, dass sie mich liebt. Danach blutet ihr der Mund.“ NIKOLAUS STEMMER

Sven Amtsberg: „Mädchenbuch“. Rowohlt PB, Reinbek bei Hamburg 2003, 288 S., 12 €