von disco zu disco: die clubkolumne
: Entgiften mit HipHop: Die Zulu Nation wird 30

Pfadfinder in Baggy-Jeans

Vor fünf Jahren erzählte mir Mister Malcolm McLaren folgende Anekdote: „Es war 1980 in New York. Ich spazierte gerade auf der 125. Straße in Harlem herum, als ich diesen riesigen, schwarzen Typ mit Irokesenfrisur sah. Aber das Auffälligste an ihm war, dass er ein T-Shirt trug mit der Aufschrift „Never Mind The Bollocks, Here’s The Sex Pistols.“ Ich musste ihn darauf ansprechen! Er sagte, er sei ein Riesenfan der Sex Pistols und sein Name sei Africa Bambaataa, und warum ich nicht einfach heute Abend ihr Ding auschecken kommen würde – die Zulu Nation hätte da eine Party am Laufen in der South Bronx. Ich bin dann natürlich direkt hin.“

So „entdeckte“ McLaren die HipHop-Kultur (ähnlich wie sein britischer Kolonialkollege James Cook die Osterinseln), machte ein paar historische Feldaufnahmen, wendete seinen flatterhaften Geist aber bald darauf afrikanischer Highlife-Music, Seilspringen und Squaredance zu – den nächsten glamourösen Exoten, die er aus seinem überdimensionalen Hobo-Hut hervorzauberte.

Die Zulu Nation existierte zu diesem Zeitpunkt bereits seit sieben Jahren, sie wird dieses Jahr folglich ihren dreißigsten Geburstag feiern. Am 12. 11. 1973 hatte Africa Bambaataa, bis dahin einer der Anführer der mächtigen New Yorker Gang The Black Spades, entschieden, das gewaltverseuchte Prinzip „Gang“ gegen das friedensstiftende Projekt „Zulu Nation“ zu tauschen. Inspiriert hatte ihn dazu der Film „Zulu“ mit Michael Caine, der dort einen britischen Kolonialoffzier spielt, der den stolzen Kriegern Respekt zollt und ihn deshalb auch zurückbekommt.

Die bald Universal Zulu Nation, kurz UZN genannte Organisation entwickelte sich in den frühen 80ern, im Sog von Bambaataas stilprägenden Electro-Hits wie „Planet Rock“ oder „Looking For The Perfect Beat“ schnell zu einem der wichtigsten Botschafter der HipHop-Kultur. Strukturell wie eine gigantische, gütige Gang organisiert, gründeten sich die Chapter und Divisionen bald weltumspannend. Die UZN ist heute weltweit in Räten organisiert. Wenn alle Stricke reißen, könnte sie die Regierung übernehmen. Der Erde, versteht sich.

Als Anfang der 90er die Rechtschaffenheit im Rap aus der Mode kam, verlor die UZN ihren Einfluss auf die ganz große Politik. Ihre moralische Note, die Tendenz zur Lebenshilfe und ihre religiöse Hingabe an das HipHop-Testament wollten nicht mehr recht in eine Zeit passen, in der Gangsta-Rap seine größten Erfolge feierte.

In so einem Fall geht man zurück zur Basis. Und dass die UZN, was das betrifft, immer noch sehr präsent ist und einen verdammt guten Job macht, konnte ich persönlich Anfang April feststellen.

Das Köln-Chapter hatte in den Club 68 eingeladen, ein Stadtteil-Begegnungszentrum für Behinderte und Nichtbehinderte. Allein das hat schon eine Coolness und Klasse, wie man sie derzeit in kaum einer anderen Musikszene findet. Angesagt war eine Podiumsdiskussion zum Thema „What is a DJ if he can’t scratch?“. Es waren dort, wie McLaren gesagt hätte, Männer versammelt, die „mit Platten hantieren und die Nadeln ihrer Plattenspieler benutzen wie Gitarren“. DJs eben, mit dope flashenden Namen wie Back Q, Scope, Hawkeye, Rickski, Tre-Styles oder Hans Nieswandt.

Die meisten der etwa 150 mit Kappen und Baggyhosen erschienenen Anwesenden waren in den Gründungstagen der UZN noch nicht mal geboren. Dies war Köln-Südstadt und nicht die South Bronx. Und doch wurde hier der Zulu-Geist in seiner korrektesten Form authentisch zelebriert. Ohne staatliche Zuschüsse, ohne den Rahmen einer riesigen Messe, ohne das kleinste Budget eines internationalen Genussgift-Konzerns wurde hier konzentriert und ernsthaft an der eigenen Kultur gearbeitet, um der Sache willen und im Dienste positiver Lebensführung.

Als Scope mich schmunzelnd als jemanden vorstellte, der erst vor kurzem von der Existenz von HipHop gehört hat, entgegnete ich, dass meine erste selbst gekaufte Maxi „The Breaks“ von Kurtis Blow aus dem Jahr 1980 ist. Dafür bekam ich Sonderapplaus. So sind wir eben, immer hungrig nach Props. Wie viele DJs braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln? Mindestens ein Dutzend: einen, der sie reindreht, zehn, die mit verschränkten Armen wissend lächeln herumstehen, und einen, der das übrigens schon 1980 gemacht hat.

Während die deutschen Divisionen der UZN mit gemeinnütziger, Halt bietender Jugendarbeit eine echte Alternative zu den Pfadfindern oder anderen ominösen oder christlichen Gruppen darstellen (wir reden hier von Jugendzentren in schlechten Vierteln, nicht von literaturwissenschaftlichen Hauptseminaren), geht es auf der Website des amerikanischen Mutterschiffs wesentlich universaler ab: schwere Kosmologie, seltsame Wissenschaften, US-Außen- und Innenpolitik, natürlich Verschwörungstheorien, aber auch Gesundheitstipps und vieles mehr findet hier sein Forum.

Mineralwasser zum Beispiel – ganz schlecht. Da kann man gleich Gift oder Milch trinken. Nur ein destilliertes Wasser ist ein gutes Wasser. Nach einer dreiwöchigen Kur mit destilliertem Wasser ist der Urin deutlich sedimentreicher. Aber das sind wohl eher Themen für den gesetzteren Zulu. In jedem Fall: Respekt für die UZN. Gut, dass es sie gibt.

HANS NIESWANDT