Fiasko Familie

Burr Steers’ Regiedebüt „Igby“ erzählt von dem Coming of Age eines siebzehnjährigen Zynikers

Hollywood hat die Reagan-Jahre nicht ganz verarbeitet. Im Kino dienen sie derzeit wieder als Kulisse für menschliche Tragödien, und sie wirken da am schmerzhaftesten nach, wo es am meisten wehtut: im Herz der Familie. Während Wes Andersons Royal Tenenbaums sich noch den nostalgisch-unverklärten Streifzug durchs Familienalbum erlauben konnten, bleibt Burr Steers Regie-Debüt „Igby“ die zynische Stimme eines pragmatischen Nonkonformisten: des 17 Jahre alten Igby Slocomb jr. (Kieran Culkin).

Den klugscheißerischen Tonfall muss man dem Film nachsehen, sobald die Familie, ein grandioses menschliches Fiasko, erst einmal eingeführt ist. Die kapitalistischen Bluthunde und snobistischen Puritanersippen, die wie Überbleibsel des Achtzigerjahre-Booms wirken, haben sich in „Igby“ zum letzten Geleit versammelt. Steers Film erzählt die alte Coming-of-Age-Geschichte nicht wirklich neu, aber er findet angemessene Worte. „Ich versinke in Arschlöchern“, sagt Igby über seine Jugend und verschwindet nach New York.

Das Ensemble in „Igby“ gleicht dem einer Farce. Kompensiert wird der denunziatorische Furor nur in der Vaterfigur (Bill Pullman). Dass der seit sechs Jahren in einer Klinik für Geisteskranke sitzt, ist eine der bitteren Pointen, mit denen sich Regisseur und Drehbuchautor Steer die sichere Distanz des Zynikers verschafft. Igbys Mutter Mimi (Susan Sarandon) schmeißt Pillen wie Bonbons (wenn Sohnemann ihr nicht gerade eine Hand voll Es unterjubelt), sein älterer Bruder Oliver (Ryan Phillipe) besaß schon als Kind die Anmut eines arischen Aristokraten und hat sich in seinen späten Zwanzigern mit einer Nixon-haften Aura der Unnahbarkeit umgeben. Seiner Freundin Sookie (Claire Danes) erzählt Igby, dass Oliver seinen Abschluss in Neofaschismus machen wird. Okay, in Wirtschaft, aber für Igby macht das keinen Unterschied.

Sein Patenonkel D. H. (Jeff Goldblum) schließlich ist die Schlüsselfigur in dieser dysfunktionalen High-Society-Sippschaft. Er besitzt selbst mit runtergelassenen Hosen noch die Arroganz des dem Untergang geweihten Downtown-Geldadels. Wenn er später Igby krankenhausreif prügelt, zeigt aber auch diese Fassade Risse.

Diese Mischung aus Post-Yuppietum und elender Bohemia ist der ideale Nährboden für eine Chronik des Scheiterns. Angekommen in New York und auf der Flucht vor seiner Familie muss sich Igby mit der Heroin- abhängigen Mätresse seines Onkels, kleineren Drogenkurierjobs und mit Sookie Sapperstein herumschlagen. Schmerzvoll ist diese Odyssee, weil sich seine Sinne an der Verdorbenheit seines Umfeldes geschärft haben. Igbys Waffe ist Nihilismus. Als Oliver ihm die Nachricht überbringt, dass ihre Mutter vom Krebs befallen sei, bleibt sein einziger Kommentar ein Achselzucken.

„Igby goes down“ heißt Steers Film im Original, und also muss Igby ganz zwangläufig erst wieder unten, sprich: zu Hause ankommen, um weiterzuziehen. Die Familienzusammenführung findet am Ende ein exemplarisches Bild, das die Gnadenlosigkeit dieses Milieus wiedergibt: Igby hockt auf seiner toten Mutter und prügelt ihren Leichnam windelweich. ANDREAS BUSCHE

„Igby“. Regie: Burr Steers. Mit Kieran Culkin, Claire Danes, Susan Sarandon u. a., USA 2002, 95 Min.