zwischen den rillen
: Elektronische Erinnerung: Martin Gore und Autechre

Kill your Idols!

Wo wäre die Popmusik ohne Coverversionen? Selbst die größte Band aller Zeiten, die Beatles, arbeitete sich ja zunächst an einer Palette von Rock-’n’-Roll-Standards ab, ehe sie selbst Songs komponierte, mit denen wiederum ganze Generationen von Schülerbands ihre ersten Gehversuche unternahmen. Die Coverversion trägt zur Stärkung des popkulturellen Gedächtnisses bei und etabliert ein Referenzsystem. Dabei ist es egal, ob sie eher als Huldigung oder Vatermord – Letzteres war besonders im Punk sehr beliebt – gedacht ist.

Die Idee hinter Martin Gores Coverversionen-Album „Counterfeit 2“, dem verspäteten Nachfolger seines ersten Soloausflugs „Counterfeit“ aus dem Jahre 1989, folgt ganz klar dem Prinzip Huldigung. Gleich das erste Stück ist eine Bearbeitung des Spirituals „In My Time Of Dying“ des amerikanischen Blues-Stammvaters Blind Willie Johnson. Und auch sonst hat Martin Gore bevorzugt solche Songs von John Lennon, Nick Cave, Iggy Pop und gar Kurt Weill ausgewählt, in denen es vor allem um Weltschmerz, unerfüllte Sehnsucht und Hoffnungslosigkeit geht.

„Counterfeit 2“ ist, ja doch, ein Alterswerk, ein ganz persönlicher Blick zurück, denn gerade die Aneignung von Coveralben eignet sich besonders gut für die sentimentale Rückschau. Gore, der inzwischen recht zurückgezogen im kalifornischen Santa Barbara lebt, hat schlichtweg versucht, sich noch einmal in seine eigenen Teenagerjahre zu versetzen. In eine Zeit, in der etwa Brian Enos 1977 erschienenes Stück „By This River“ bahnbrechend neu klang und „Candy Says“ von The Velvet Underground zu entdecken hieß, der Kunst des Songwritings in ihrer Vollendung offenbar zu werden. Depeche-Mode-Fans, die schon immer mal wissen wollten, was vielleicht auch Martin Gore dazu trieb, später einmal selbst Teil einer Band zu werden, könnten durch „Counterfeit 2“ auf ihrer Motivsuche einen entscheidenen Schritt weiterkommen.

Schon das letzte Depeche-Mode-Platte „Exciter“ klang melancholisch leicht verhangen, was von den meisten Exegeten der gerade erst überwundenen Heroinsucht des Depeche-Mode-Sängers Dave Grahan zugeschrieben wurde. Noch viel auffälliger war jedoch die betont zeitgemäß klingende Produktion von Mark Bell, der selbst mit seinem Projekt LFO dazu beitrug, in den Neunzigern eine bestimmte, eher abstrakte Form von Techno zu etablieren. Martin Gore ist erklärter Fan dieser elektronischen Musik, die wiederum in ihrer Entwicklung Depeche Mode so einiges zu verdanken hat. In Interviews gibt Gore an, die eigenwillige elektronische Musik von Thomas Brinkmann oder Atom Heart zu lieben. Was man nicht zuletzt auch „Counterfeit 2“ musikalisch anmerkt.

Gores Einflüsse spiegeln sich also gleich auf mehreren Ebenen. Autechre dagegen, der vielleicht einflussreichste Act des gegenwärtigen abstract Techno, kommt einem inzwischen eher wie ein Opfer des eigenen Einfallsreichtums vor. Seit numehr zehn Jahren produziert das englische Duo die abartigsten Geräuschkraterlandschaften: Ihre Platten klingen wie die Ekstasejauchzer von Nanorobotern, die Walpurgisnacht feiern.

Seit zehn Jahren beeinflussen Autechre Heerscharen blasser Jungs, die ihre Ration an Fertigpizzen für die nächste Woche dafür geben würden, nur einmal solche Stahlwerksinfonien wie ihre Vorbilder hinzukriegen.

Und vielleicht sind Autechre auch immer noch die Besten ihres Fachs: „Draft 7.30“, eine schwer ächzende Elektronikwalze, die nur verbrannte Erde hinterlässt, legt dies nah. Doch die Frage danach, wer nun der Abstrakteste innerhalb des Genres ist, ist keine Frage, die noch wirklich jemanden interessiert. Vielleicht weil man noch all die jüngst erschienenen Platten der Autechre-Epigonen im Ohr hat, die nur vizeweltmeisterlich klingen. Oder aber weil man so viele davon im Ohr hat, dass man selbst den Weltmeister nicht mehr auflaufen sehen möchte.

Als Gegenmittel für solche Sinnkrisen hilft das Prankster-Manifest „HelpAphexTwin4.0“ von V/VM. Das britische Popterroristenkollektiv hat schon so unterschiedliche Künstler wie Lionel Ritchie, Sonic Youth, Autechre und Heino (!) durch den Fleischwolf gezogen: Wie Adbusters codieren sie alles, von Plattencovern bis hin zu Tracktiteln, zu etwas Neuem um.

Mit ihrem neuen Album pinkeln V/VM nun Aphex Twin, dem anderen großen Champ des Abstrakttechnos, mit einem Set Verarschcoverversionen gehörig ans Bein. So sieht dann die perfekte Coverversionen-Platte im Sinne des Vatermords aus: Das Idol muss vom Sockel gestürzt werden, damit der Spaß an der Popmusik erhalten bleibt. ANDREAS HARTMANN

Martin Gore: „Counterfeit 2“ (Mute/Virgin); Autechre: „Draft 730“(Waro/Zomba); V/VM: HelpAphexTwin 4.0 (Hat04)