„Die Grenzen lösen sich auf“

So jung wie in seinem vierzigsten Jahr war das Berliner Theatertreffen noch nie: Ein Gespräch mit Festivalchefin Iris Laufenberg über die Öffnung des Treffens nach Europa und zum Jugendtheater

von ESTHER SLEVOGT

taz: Das Berliner Theatertreffen wird vierzig. Wie ist das, wenn man eine Veranstaltung, die älter ist als man selbst, in die Zukunft führen soll?

Iris Laufenberg: Ich empfinde das Theatertreffen gar nicht als so viel älter als mich. Viele Aufführungen, die vor meiner Geburt oder in meiner Kindheit entstanden, sind mir längst als Theatergeschichte geläufig. Das zeigt ja, welche große Bedeutung das Theatertreffen hatte und hat.

Rückblickend kann man sagen, dass es immer die Epoche machenden Inszenierungen waren, die eingeladen wurden; was man ja zunächst noch gar nicht wissen konnte. Da hat die Jury stets ein starkes Gespür für das Bleibende an dieser flüchtigen Theaterkunst bewiesen. In den 60ern waren es berühmte Aufführungen am Berliner Schiller Theater und auch Inszenierungen aus Ostberlin von Benno Besson oder dem Berliner Ensemble, die wegen der politischen Situation dann hier gar nicht gezeigt werden konnten. Später waren es Inszenierungen von Peter Steins Schaubühne, Peter Zadek oder Claus Peymann. In den Neunzigern spiegelte sich das Zusammenwachsen der ost-westlichen Theaterlandschaft wider.

Das Theatertreffen war immer auf der Höhe der Zeit. Und so ist es bis heute geblieben.

Trotzdem ist das Theatertreffen ja oft totgesagt worden.

Ich verstehe das Problem gar nicht: Was soll das Überlebte am Theatertreffen sein? Zu sehen sind immer die Highlights der Saison, das Theatertreffen ist angenommen in der Stadt. Die Zuschauer lieben es. Es ist in der Kritik, und was in der Kritik ist, ist lebendig. Vielleicht ist diese Diskussion einfach ein Ritual, das dazugehört.

3sat wird fünf Aufführungen aufzeichnen. Dass wir auch im Medium Fernsehen so stark vertreten sind, ist ebenfalls ein Zeichen für die ungebrochene Bedeutung des Theatertreffens.

Als das Theatertreffen 1964 im frisch eingemauerten Westberlin entstand, verstand man es auch als Reverenz vor der deutsche Theatermetropole des Berlins der Zwanzigerjahre. Die waren damals gerade erst vierzig Jahre her und wirkten doch wie mythische Vorzeit. Im Gegensatz dazu wird das Theater der 60er immer noch wie Gegenwartstheater gehandelt. Müsste man den Epochenwechsel nicht stärker thematisieren?

Das Theatertreffen ist eine Tradition, vor der ich großen Respekt habe. Die Gegenwart ist ja stets durch die Auswahl der Stücke präsent, die im Übrigen von einer unabhängigen Jury entschieden wird. Die wichtigste Neuerung durch die Festivalleitung ist dieses Jahres die Öffnung des Stückemarktes, der bisher rein deutschsprachig war, für Europa. Wir arbeiten jetzt mit dem Internationalen Theaterinstitut und dem Berliner Uraufführungstheater zusammen, das der Dramatiker Oliver Bukowski 1998 gegründet hat.

Was hat sich damit verändert?

Der Stückemarkt ist seit seiner Gründung 1978 immer ein Erfolgsmodell gewesen, und seine Resonanz bei Presse und Publikum war groß. In den letzten zehn Jahren wurde er von Klaus Völker mit Stücken junger Autoren bestückt, die in szenischen Lesungen von herausragenden Berliner Schauspielern präsentiert wurden. In diesem Jahr hat erstmals eine Jury die Stücke ausgewählt, die aus Festivalleitung, Dramaturgen, Dramatikern und Theaterkritikern zusammengesetzt war. Aus 179 unveröffentlichten und unaufgeführten Stücken wurden schließlich vier ausgewählt. Neu ist, dass auch nichtdeutschsprachige Dramatiker darunter sind, wie die junge Belgraderin Ana Lasić.

Werden die ausgewählten Stücke weiterhin als szenische Lesungen präsentiert?

Ja. Aber wir haben vom Uraufführungstheater die bereits erprobte Autorenförderung übernommen – das heißt, den jungen Autoren wurde ein erfahrener Dramaturg oder Dramatiker an die Seite gestellt, um das Stück weiterzuentwickeln. Im Fall von Ana Lasić haben wir beispielsweise Biljana Srbljanović gewinnen können. Während der Proben arbeitet der Regisseur mit dem Autor weiter am Stück: ein Angebot an junge Autoren, praktische Erfahrungen mit ihren Texten zu sammeln. Aber auch ein Angebot an Verlage und Theater, neue Autoren zu entdecken.

Es wird an den Theatern immer noch sehr fahrlässig mit jungen Dramatikern umgegangen. Das hängt auch mit der Finanzlage zusammen: Aus Gründen der Auslastung produziert ein Theater immer noch lieber einen „Sommernachtstraum“ als ein No-Name-Stück. Aber das funktioniert heute eben auch nicht mehr so richtig. Deswegen müssen junge Autoren gefördert und auch gepflegt werden.

Parallel dazu findet das Kinder- und Jugendtheatertreffen „Augenblick Mal!“ statt.

Das ist eine unabhängige Veranstaltung – ähnlich konzipiert wie wir und genauso erfolgreich. Aber es ist das erste Mal, dass wir miteinander verlinkt sind.

Viele Regisseure sind aus dem Kinder- und Jugendtheater hervorgegangen, zum Beispiel Michael Thalheimer, Armin Petras oder Sebastian Nübling, der letztes Jahr mit seinem Baseler „John Gabriel Borkmann“ bei uns eingeladen war und dieses Jahr beim Jugendtheatertreffen sein Stuttgarter „Il Furiosi“ zeigt. Wir werden eine gemeinsame Diskussion veranstalten: Wo sind eigentlich die behaupteten Grenzen zwischen Erwachsenen- und Jugendtheater? Lösen sich diese Grenzen nicht vielmehr gerade auf, wie man beim Blick auf die Spielpläne schließen könnte, und dem Erfolg von Stücken wie Marius von Mayenburgs „Feuergesicht“ oder Igor Bauersimas „Norway.Today“?

Eine Diskussion wird sich der Krise widmen, in die das subventionierte Stadttheatersystem geraten ist. Was meinen Sie: Ist es ein Fall für den Denkmalschutz oder zukunftsfähig?

Der Reformdruck, dem das Stadttheatersystem ausgesetzt sind, ist teilweise wichtig und richtig. Reform muss immer von unten kommen, und ich bin sicher, da sind die Theater längst aufgewacht. Aber gleichzeitig muss auch die öffentliche Hand klare Signale geben, dass sie Theater überhaupt noch will. Diese beiden Faktoren müssen zusammenfinden, wenn es einen Weg aus der Krise geben soll.