Machtprobe in Österreich

Streik legt öffentliches Leben für einige Stunden lahm. Mit der Aktion protestieren die Gewerkschaften gegen die geplante Rentenreform. Die könnte auch noch im Parlament scheitern. Landesweiter Ausstand für kommende Woche angekündigt

aus Wien RALF LEONHARD

Vor den Remisen standen gestern früh die Straßenbahner und Buschauffeure mit Transparenten gegen die Pensionsreform. Auf dem Wiener Westbahnhof, wo an Arbeitstagen binnen weniger Stunden 58.000 Pendler aus Niederösterreich ankommen, herrschte gelassenes Chaos. Viele, die sonst in die U-Bahn umsteigen, setzten ihren Weg zur Arbeit zu Fuß fort, andere hatten Scooter ihrer Kinder ausgeborgt. Sie drängten sich auf den Radwegen mit Rollschuh- und Radfahrern. Bei heißem Sommerwetter ließen sich nur wenige die Laune verderben. Selbst der um 250.000 Fahrzeuge vermehrte Autoverkehr stockte nur stellenweise. In manchen Verkehrsadern, wo sonst die Straßenbahnen verkehren, ging es sogar flotter als gewöhnlich voran.

Schlimmer war es in Salzburg und Graz, wo kaum Ausweichmöglichkeiten in die City bestehen. Nur drei regionale Tageszeitungen brachten, trotz Druckerstreiks, ihre Blätter auf die Straße. Am Mittag normalisierte sich das öffentliche Leben wieder.

ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch verteidigte die erste große Streikbewegung seit über 50 Jahren. „Die Verhinderungen heute sind zu vernachlässigen im Vergleich zu dem, was die Bundesregierung für unser gesamtes Leben vorhat.“ Entgegen der österreichischen Tradition waren ÖGB und Wirtschaftskammer in die einschneidende Pensionsreform nicht einbezogen worden. Letzten Endes geht es bei den Protesten um die Aufkündigung der Sozialpartnerschaft. Wolfgang Schüssel und Crew zeigten sich unbeeindruckt. Der Kanzler verurteilte die „politischen Streiks“, die nicht zu rechtfertigen seien, da auch Gewerkschafter im Nationalrat sitzen und dort bei der Beschlussfassung am 4. Juni mitreden könnten.

Programmgemäß trat der Ministerrat zusammen, um das Doppelbudget für 2003 und 2004, das heute von Finanzminister Karl-Heinz Grasser dem Parlament präsentiert wird, abzusegnen. Die Rentenreform ist neben anderen Kapiteln in ein Budgetbegleitgesetz verpackt.

Die Gegner der Reform haben aber ihr Pulver noch nicht verschossen. Nächsten Dienstag wird landesweit demonstriert. Eisenbahnergewerkschafter Wilhelm Haberzettl deutete an, dass Streiks die Wirtschaft empfindlich treffen könnten. Durch Einstellung des Güterverkehrs könne die zunehmend just in time arbeitende „Industrielandschaft ins Wanken“ gebracht werden.

Man baut darauf, dass der gemeinsame Druck von Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Regierung noch zum Einlenken bewegen könne. Außerdem ist noch nicht ausgemacht, dass die parlamentarische Dampfwalze der Regierungsparteien klaglos funktioniert. Fritz Neugebauer, ÖVP-Abgeordneter und Chef der ÖVP-nahen Beamtengewerkschaft, will seine Zustimmung verweigern. Auch Jörg Haider, der sich an Schüssel wegen der Wahlschlappe rächen will, hat angekündigt, seinen Einfluss auf die 18 FPÖ-Mandatare geltend zu machen. Sechs kommen aus Kärnten, wo Haider regiert. Angesichts der prekären Mehrheit genügen fünf Gegenstimmen, um ein Projekt zu verhindern.