Gut gebräunte Selbstgewissheit

Kein Land in Sicht: Im Springer Verlag wird die Beziehung zwischen deutschen Unternehmen und den 68ern diskutiert. Leider wurden ja damals die Sekundärtugenden diskreditiert. Aber die Autoritätskritik war eine Errungenschaft

Dem verquastenSalonmarxismus stand die Wirtschaft eher ratlos gegenüberIm 19. Stockwerk wünscht man sich echte Räuber und Helden zurück

Hoch oben, im Himmel über Berlin, stellen sich die Dinge anders dar. Ehrgeizige Bauprojekte wirken plötzlich wie Legohäuschen, und selbst der Fernsehturm, erhabenes Symbol für die Überlegenheit des Sozialismus, sieht aus wie ein bei der Ernte übersehener Spargel. Und obwohl die Freiheit auch hier nicht unbedingt grenzenlos scheint, so sind die Gedanken doch zumindest schwereloser, die Perspektiven verrückbarer und die Ideen entfesselter. Sollte man eigentlich meinen.

Im 19. Stock des Springer-Hochhauses hat sich am Montag ein illustres Völkchen versammelt. Redakteure nutzen die Gelegenheit, zum Ende eines hitzefreiverdächtigen Tages noch einen stolzen Blick über die einstige Frontstadt zu werfen. Hanseatische Einstecktüchlein und graue Anzugträger treffen sich zum Schwatz vor den Panoramafenstern. Was spontan wie ein Jahrgangstreffen der Flakhelfergeneration wirkt, entpuppt sich als eine Veranstaltung zum Thema „1968“, zu der die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e. V. eingeladen hatte. Mit Bedacht wählte man den wohl passendsten Ort, um über das schwierige Verhältnis des deutschen Unternehmertums, vulgo: des „Kapitals“, zur APO zu diskutieren. Dort, wo einst der Hausherr enteignet werden sollte, ging es um die Lehren einer an medialen Hysterien nicht gerade armen Epoche der Bundesrepublik.

In seiner launigen Eröffnung sprach Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, von einer „traumatischen Fixierung“, welche die protestierenden Studenten und das konservative Verlagshaus miteinander verband. Er räumte freimütig ein, dass die Bunkermentalität in seinem Unternehmen zu einem „Verlust an intellektuellem Potenzial“ geführt habe. Im Rückblick müsse man sogar zugeben, dass die autoritätskritische Haltung der 68er eine „wirkliche Errungenschaft“ darstelle. Dem stünden allerdings negative Erblasten wie Eliten-, Leistungs-, Technologie- und eine grundsätzliche Kapitalismusfeindlichkeit gegenüber. Diese „Umwertung aller Werte“ habe es ermöglicht, dass die für das Wirtschaftsleben unentbehrlichen Sekundärtugenden „maßgeblich diskreditiert“ worden seien. Die 68er erwiesen sich rückblickend als eine tragische Generation, bei der die „Diskrepanz zwischen moralischem Impetus und kläglicher pragmatischer Evidenz“ offenkundig sei.

Diese Diskrepanz, die Klaus von Dohnanyi kurz darauf als „Parfüm der Illusion“ markwortete, sollten zwei Historiker mit empirischen Duftnoten anreichern. Doch sowohl Werner Plumpe (Universität Frankfurt am Main) als auch Axel Schildt (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg) entledigten sich mit dem Hinweis auf bestehende Forschungsdesiderate geschickt der Schwierigkeit, ihre grundsätzliche These, zwischen Wirtschaft und 68ern habe es keinerlei Berührungspunkte gegeben, im Einzelnen zu belegen. Plumpe beließ es bei dem pauschalen Hinweis, die Unternehmen hätten dem „verquasten Salonmarxismus“ eher ratlos gegenübergestanden. Inwieweit ihnen der hedonistische Zeitgeist bei Produktentwicklung und Werbestrategien vielleicht doch in die Hände spielte, darüber könne man höchstens spekulieren.

Schildt hob hervor, dass die Boykottaufrufe gegen Springer zwar in zutreffender Weise auf den massiven Konzentrationsprozess in der Zeitungswirtschaft hingewiesen hätten, dabei aber die Medienmacht äußerst „eindimensional“ interpretiert wurde. Schließlich habe man sich in einer pluralistischen Öffentlichkeit bewegt, die selbst hohe Auflagen für Konkret ermöglichte.

Bevor die Veranstaltung in einen putzigen Revisionismus abzudriften drohte, verteidigte Ex-Juso Karsten Voigt seine damalige Position. Er habe sich „durch die Bild-Berichterstattung körperlich bedroht gefühlt“ und die Aktionen als eine Art Selbstverteidigung empfunden. Was den Vorwurf der ökonomischen Naivität angehe, so habe man sich eben mehr für die Makroebene, gleichsam die Globalisierung vor ihrer Begriffswerdung, interessiert. Auch Edzard Reuter, sozialdemokratischer Daimler-Vorstandsvorsitzender a. D., hielt es für eine „Geschichtsklitterung“, wenn man der Bild-Zeitung nachträglich mehr Differenzierung attestiere als strubbeligen Stamokaptheoretikern. Um sich über die blinden Flecken der jeweiligen Standpunkte bewusst zu werden, empfehle er im Übrigen den Dokumentarstreifen „Black Box“.

Rolf Breuer, einen der Interviewten in Andreas Veiels Film, veranlassten die Erfahrungsberichte nur zu einem matten Haifischgähnen.

In der Tat war ermüdend, wie häufig die Podiumsredner vom „Ich“ Gebrauch machten und die Sozialgeschichte der 60er- und 70er-Jahre auf ein persönliches Bildungsromänchen zusammendampften. Fast war man deshalb dankbar für die gut gebräunte Selbstgewissheit, mit der Breuer verkündete, 1968 sei für die Kreditwirtschaft nun wahrlich kein „säkularer Event“. Und das Milieu einzelner RAFler sei „derartig spießig gewesen, wie ich mir es überhaupt nicht vorstellen konnte“.

Unwillkürlich schaute der desillusionierte taz-Berichterstatter auf den Gendarmenmarkt und wünschte sich echte Räuber und edle Helden zurück. Doch die waren von hier oben leider nicht zu erkennen.

JAN ENGELMANN