Mit dem Mofa aus Cuxhaven

Einst stand Thees Uhlmann mit Tomte im Schatten jener Bands, die Hamburger Schule machten. Doch mit seinem Album „Hinter all diesen Fenstern“ will er nun so groß werden wie Coldplay

Tomte haben das treffende Album zur Krise der Generation Golf geschrieben

von THOMAS WINKLER

Niemals kam Größenwahnsinn freundlicher daher. „Das ist eine Sache“, sagt Thees Uhlmann und wird plötzlich ganz ernst, „die sich in kürzester Zeit in die Popgeschichte Deutschlands bomben könnte.“ Die Sache, damit meint er: „Hinter all diesen Fenstern“, das neue Album von Tomte, seiner Band. Das betrifft aber auch die befreundete Band Kettcar sowie Grand Hotel van Cleef, die gemeinsame Kleinstplattenfirma. „Vielleicht bin ich ja blauäugig“, sagt Uhlmann und schmunzelt, „aber: Ich fühle mich so bereit.“

Schon früher hieß es bei Tomte: „Ich bin bereit“. Aber damals reimte sich das noch auf „Gib mir Korn & Sprite“. Auf den ersten beiden Tomte-Alben regierte noch jugendlicher Sturm und Drang, melancholisch gebrochen. Dazu gesellten sich rüde Punkgitarren, gelegentliche Smiths-Zitate und eine eher anspruchslose Produktion. Oft ging es nur „Mit dem Mofa nach England“, so ein Songtitel. Aber wer aufmerksam zuhörte, konnte schon damals das Potenzial der Band erkennen.

Damals, Mitte der Neunzigerjahre, standen Tomte aber noch im Schatten jener Bands, die Hamburger Schule machten. Uhlmann war eng befreundet mit den Jungs von Tocotronic, ging mit ihnen auf Tour und hat mit „Wir könnten Freunde werden“ sogar so etwas wie eine Biografie der Band verfasst. Heute hat er die alten Kumpels zwar „noch im Herzen“, trifft sie und den Rest der Hamburger Oberschüler aber nur noch selten bei nächtlichen Kneipentouren. Stattdessen treibt er mit Tomte nun den musikalischen Entwurf der Hamburger Schule zu neuen Ufern. Zwar kreisen auch bei Uhlmann die meisten Texte um ihn selbst und sein näheres Umfeld, sucht auch er nach dem eigenen Platz in der Welt. Aber lange schon ist er nicht mehr damit beschäftigt, die Pubertät zu überwinden. Tod, Krankheit, Kinderkriegen, das Leben nach der langen Beziehung: Das sind seine viel erwachseneren Themen.

Dabei fanden Tomte bereits im Kindergarten von Hemmor bei Cuxhaven zusammen. Schon die Mütter von Uhlmann und Timo Bodenstein, dem Schlagzeuger, spielten einst in derselben Blockflötengruppe. Heute sind die vier Mitglieder von Tomte Ende zwanzig und überzeugt, Tomte sei „die beste Band, in der man spielen kann“. Und Thees Uhlmann will sich nicht mit reinem Underground-Ruhm bescheiden. Während Tocotronic sich einst ängstlich ihrem eigenen Erfolg zu verweigern versuchten, möchte Uhlmann die Massen in die Arme schließen. Mit Tomte will er eines Tages einmal „für so viele Leute da sein wie Coldplay“. In diesem Sinne dichtet er nun: „Und wenn du ihnen sagst, dass du sie alle liebst, werden sie dir glauben.“

Die kleine Plattenfirma, auf der „Hinter all diesen Fenstern“ erscheint, trägt den Namen „Grand Hotel van Cleef“ – vielleicht, weil man in den Liedern von Tomte so herzlich willkommen geheißen wird? Das Label wurde von Uhlmann selbst gegründet, zusammen mit Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff von der Band Kettcar. Von dem im vergangenen Oktober veröffentlichten Debütalbum von Kettcar, „Du und wie viel von deinen Freunden“, sind bislang immerhin 12.000 Exemplare verkauft worden. Da mag es zwar noch ein weiter Weg sein zu den Millionenumsätzen von Coldplay. Aber was seine Ansprüche angeht, sieht sich Uhlmann schon längst in der ersten Liga: „Die Kettcar-Platte, die wird mal ein Klassiker. Und an der Tomte-Platte scheint auch irgendwas dran zu sein, das merke ich an den Reaktionen aus meinem Freundeskreis. Wir haben innerhalb von einem Vierteljahr zwei Klassiker rausgeknallt: Das riecht nach Geschichte.“ Das Wunderlichste an solchen Sätzen ist, dass Uhlmann sie sagen kann und dabei doch der grundsympathische Hanseat bleibt, der immer noch Understatement zu betreiben scheint.

Zudem stützen ihn die Tatsachen. Denn diese Platte ist groß. Weil sie sich traut. Weil sie persönlich ist und poetisch, voller Lebensmut und voller Dramatik. Weil sie nicht mehr nach dem Schrammelpop der Hamburger Schule klingt, sondern wie Oasis in besseren Tagen: euphorisch, mitreißend, fordernd. Weil Uhlmann das Gefühl zelebriert wie einst Morrissey – ohne dass er es nötig hätte, sein Gesäß mit einem Blumenstrauß zu verzieren.

Bassist Oliver Koch, Gitarrist Dennis Becker und Schlagzeuger Timo Bodenstein schwingen dazu das durchaus altbackene Konzept von der Gitarrenpopband, die eigentlich lieber Rock sein möchte, sich aber die Rockismen in einer Punk-Sozialisation abgewöhnt hat, noch einmal auf zu neuen Höhen: Gitarren schwelgen, der Songaufbau ist ernst zu nehmend dramatisch, die Melodien wollen Ohrwürmer werden. Diese Band, das kann man hören, ist eine Band im ganz altmodischen Sinne.

Bleibt die Frage: Warum jetzt? Vielleicht, weil die Songs von Tomte in die Zeit passen. „Um mich herum verarmen die Leute“, erzählt Uhlmann. „Ich sehe, wie denen alles wegschwimmt, was sie sich nach dem Studium aufgebaut haben.“ Das erinnert nicht von ungefähr an die alten Kumpels von Tocotronic. Bei denen hieß es 1999 noch ein wenig sarkastisch: „Das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut.“ Doch seitdem haben sich die Zeiten geändert, nicht unbedingt zum Besseren. So wächst diese Platte zum Soundtrack der Krise der Generation Golf.

So verabschieden Tomte endgültig die Neunzigerjahre. „Von Gott verbrüht, von den Menschen berührt“, singt Uhlmann, pathetisch, aber würdevoll. Ironie ist vorbei, Zynismus war gestern: „Meinetwegen soll man uns menschelnd nennen“, sagt er. Thees Uhlmann, die Antwort der Hamburger Schule auf Herbert Grönemeyer.

Tomte: „Hinter all diesen Fenstern“ (Grand Hotel van Cleef/Indigo)