Der fabelhafte Dayton Boy

Ein Songwriter für gewisse Stunden: David Poe ist eine dieser unauffälligen Radio-Entdeckungen, die man irgendwann mittags beim Abwaschen macht. Um sich auch diesen Sommer wieder in die Gehörgänge zu schmeicheln, kommt der melancholische Amerikaner nun auf Tournee nach Deutschland

Poe kann nicht nur rauchzart hauchen, sondern auch ganz dreckig lachen

von ANDREAS MERKEL

Eigentlich könnte er der jüngere, etwas verzottelte Bruder der „Fabelhaften Baker Boys“ aus dem Film von Steve Kloves sein. Auf diese Idee kommt man, wenn man im Booklet seiner neuen CD das Foto von David Poe sieht, wie er im schwarzen Anzug, die Gitarre unterm Arm, durch den frühen Großstadtabend zum nächsten Gig eilt. Auf diese Idee kommt man aber auch, wenn man seine Musik hört: Gepflegter, leicht angefolkter Jazz-Pop für die blauen Stunden der Nacht.

Vor drei Jahren trat der Singer-Songwriter erstmals in Deutschland in Erscheinung. Ein Indie-Label veröffentlichte sein bereits 1997 in den USA erschienenes Debütalbum „David Poe“, produziert von T Bone Burnett, eingespielt mit dem Bassisten John Abbey und dem Schlagzeuger Sim Cains – „ehemals Rollins-Band“(!), wie das in der selbstreferenziellen und credibility-versessenen Szene immer so schön heißt. David Poe wurde jedenfalls eine dieser Radio-Entdeckungen, die man irgendwann mittags beim Abwaschen machte und dann einen ganzen Sommer nicht mehr los wurde. Seine Balladen handelten von nächtlichen Telefonaten, Trips nach Kalifornien, Familientreffen oder prügelnden Cops. Dafür gab es seinerzeit immerhin – gemeinsam mit Robbie Williams – den Preis der Deutschen Schallplattenkritik, und danach wurde erst mal viel und ausgiebig getourt, in Bars und Clubs, aber auch im Vorprogramm von beispielsweise Bob Dylan, Beth Orton oder den befreundeten Jayhawks.

Und auch in diesen Tagen ist Poe wieder auf Tour, um sein neues Werk vorzustellen, für das er sich fünf lange Jahre Zeit gelassen hat: „The late album“ also in mehrfacher Hinsicht. Beim Interview macht David Poe jedoch trotz einer wuscheligen Bett-Frisur und einem interessanten Fünf-Tage-Bart einen ebenso hellwachen wie entspannten Eindruck und erzählt gerne seine Geschichte.

1969 in Dayton, Ohio, geboren, zog er 1992 nach New York City. Die ersten Jahren wären hart gewesen. Mit fünf Leuten – „darunter immerhin eine Stewardess und ein Model“ – hätte man sich ein Ein-Zimmer-Apartment im East Village geteilt, wo er auch heute noch lebt. Währenddessen konnte er im legendären New Yorker Punk- und Underground-Club CBGB’s als Soundmann arbeiten und dort Musiker wie Marc Ribot kennenlernen. Natürlich sei er die ganze Zeit auch immer wieder selbst aufgetreten, wann und wo immer sich eine Gelegenheit ergab. Eines Tages habe ihm schließlich ein Freund ein Gespräch beim amerikanischen Sony-Boss vermitteln können: „Er warnte mich: Nimm auf keinen Fall deine Gitarre mit!“, erinnert sich Poe lachend. Natürlich nahm er seine Gitarre mit.

David Poe ist im persönlichen Gespräch einer dieser durch und durch sympathischen Amerikaner: Selbstbewusst und ein wenig naiv, eine Mischung aus Frühreife und Jugendlichkeit (wie in diesen Richard-Ford-Stories, wo man auf einmal mit Erschrecken feststellt, dass die Protagonisten mit ihren Eheproblemen und Berufsfrustrationen ja gerade erst 26 sein können und sich so schon mitten in der Midlife-Crisis befinden!). Selbstverständlich hasst auch er die Bush-Regierung, „the great American embarrassment“.

Wenn man seine Musik dafür lobt, dass man sich mit ihr so zurückgezogen und allein gelassen fühlen kann, als würde man alte Briefe wieder lesen (und dass aber auch genau das der Grund dafür sein könnte, dass er vielleicht niemals größeren Erfolg haben würde: Weil es einfach nicht schön ist, wenn alte Briefe von zu vielen gelesen werden), wenn man Poe also lobt, beantwortet er das mit einem so irritierend-engagierten „Oh, thank you!“, dass man sich selbst vorkommt, als hätte man gerade den allergrößten Bullshit geredet.

Ab und zu läuft David Poes Musik bei aller Geschmackssicherheit jedoch Gefahr, ins allzu Gefällig-Gefühlige abzurutschen. Fast erleichtert registriert man, dass Poe mit seiner melancholischen Kopfstimme nicht nur rauchzart hauchen, sondern auch ganz dreckig lachen kann, als man ihn darauf anspricht, dass er manchmal „like the sensitive guy“, wie das Klischee eines verdammten Frauenverstehers klinge. Yeah, er wisse, was gemeint sei. Aber so singe er nun mal. Der schlimmste Vergleich, den seine Stimme bisher aushalten musste, sei der mit Sting gewesen.

Vielleicht lässt er ja deswegen in seinen Songs Frauen auftreten, die beim Verlassen von Downtown Beirut (keine Angst: Das ist nur eine kleine Bar im East Village, wie Poe aufklärt) ihren Lover fragen, ob er jemanden für sie umbringen würde. Und ganz allgemein ist der Songwriter, wenn es um Liebe geht, ziemlich schnell bei der Hand mit Metaphern aus dem Militär. Der alte Zusammenhang zwischen Sentimentalität und Gewalt: „You’re the bomb“ heißt ein sanft croonendes Nachtstück von der neuen Platte, in dem die Liebe wie ein „Manhattan Project“ betrieben wird. Poe, der sonst so gerne und viel lacht, wird nachdenklich, und empfiehlt abschließend Michael Moores Film „Bowling for Columbine“.

Im Frühjahr bestritt der ewig tourende David Poe bereits ein Akustik-Set im Vorprogramm von ausgerechnet Vanessa Carlton – einem 22-jährigen All-American-Girl, hübsch anzusehen und mit bisher genau einem Hit „A Thousand Miles“, dem man im letzten Jahr (auch auf Berlins Radio Eins) kaum entgehen konnte. Nach einem hinreißenden Kurzauftritt Poes vor reichlich distanzierten Vanessa-Carlton-Fans kam das Popsternchen auf die Bühne und sagte ihren nächsten Song an: „It’s called Poppa. But it’s not about my daddy. I love my daddy.“

Da stand Baker Boy David Poe bereits bei Bier und Zigarette auf der Zuschauer-Empore und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

12.5. Berlin, 13.5. Hamburg, 15.5. Frankfurt, 18.5. Köln, 19.5. München