Der Admiral vom Elbstrand

Peter Tamm befuhr 43 Jahre lang unter Axel Cäsar Springer die rauhe deutsche Mediensee. Für den Marinehistoriker und Vorstand a. D. gleichen sich die Krisen in Pressemarkt und christlicher Seefahrt

aus Hamburg JAN FREITAG

Peter Tamm hat für jeden Anlass einen Sinnspruch parat. „Nicht die Waffe ist schlecht“, sagt der Exvorstandsvorsitzende des Springer-Konzerns zum Beispiel, „sondern immer der Mensch dahinter“. Auf die Gefechte im Berliner Zeitungswesen übertragen hieße das: Sollte Wirtschaftminister Clement dem Tagesspiegel-Herausgeber Holtzbrinck am 13. Mai per Sondergenehmigung erlauben, auch die Berliner Zeitung zu kaufen, macht Springerchef Mathias Döpfner vielleicht seine Drohung wahr und nimmt die Welt vom Markt.

Das hochdefizitäre Frontblatt des Kalten Krieges als Waffe in der Hand des Verlagsbosses – wenn Döpfner sie wirklich abschießt, würde das dem Manager a. D. gehörig die Festlaune verhageln. Schließlich, erzählt Tamm auf dem Balkon seines „Wissenschaftlichen Instituts für Schifffahrt und Marinegeschichte“, gehöre die Welt zu seiner „morgendlichen Leib- und Magenlektüre“. Das Ende des Blattes, vielleicht gar am Tag nach Tamms 75. Geburtstag nächsten Montag – kein schönes Geschenk.

Als der passionierte Historiker noch eigenhändig die Geschicke des Medienriesen lenkte, trieb das einstige Flaggschiff mit dem globalen Namen verhältnismäßig sicher in Hamburger Gewässern. Nie, auch nicht in den Siebzigerjahren, wirklich profitabel, natürlich nicht. Aber eben halbwegs solide. So wie Steuermann Tamm eben den Kurs festlegte: „Wer frei sein will, darf nicht auf Pump leben.“ Nach dieser Devise hielten der studierte Volkswirt und sein 1985 verstorbener Mentor Axel Cäsar Springer ihre Blätter immer oberhalb der Wasserkante. Endgültig leck schlug auch die Welt in Tamms Sicht erst mit den nach unten offenen Verlusten der Neunziger.

Die maritime Sprache mag pathetisch klingen, aber genau in ihr pflegt der Vorzeigehanseat Tamm im blauen Zweireiher die Welt – die große, nicht die gedruckte – zu umschreiben.

Bis zu seinem hektischen Ruhestand voller Aufsichtsratsposten und Fachverlagsleitungen war er 43 Jahre lang Teil von Springer. Die ersten zehn als Schifffahrtsredakteur (!) beim Hamburger Abendblatt, dann Ressortchef, Bild-Verlagsleiter, Direktionsvorsitzender, Geschäftsführer und ab 1982 neun Jahre an der Vorstandsspitze.

Tamm, treuer Steuermann unterm Kapitän Springer und politisch nie uneins mit dem Gründer, prägte die publizistische Linie des Verlags wie kaum ein anderer. Eine Bilderbuchkarriere, die sich der Freund dicker Havannas eigentlich auf dem Wasser erträumt hatte. Admiral wollte der junge Seekadett werden – „aber der Krieg war zu schnell vorbei“.

Immerhin hat seine Leidenschaft zur weltgrößten Privatsammlung maritimer Exponate, ausgestellt im Institut an der noblen Hamburger Elbchaussee, gereicht. Tausende Schiffsmodelle, Uniformen, nautische Geräte, Bücher und Waffen – gesammelt seit seinem sechsten Lebensjahr.

Vom Balkon der Villa blickt er über ausgedientes Kriegsgerät auf die Elbe – Kanonen, Torpedos, Bordgeschütze. Es sind stumme Symbole für Tamms Führungsstil. Kein Erfolg ohne Hierarchie. „Wie beim Militär“ – nicht umsonst wird er Admiral gerufen. Es zählen Verantwortung, Respekt, Leistung. Und natürlich die Verlagsdoktrin, Anwalt des kleinen Mannes zu sein. So hat es Bild zu Europas größter Tageszeitung gebracht. Die Welt, stets aus dem Erfolg der Bild alimentiert, kam etwas gediegener daher.

Ihr Ende wäre in Tamms Logik zwar bedauerlich, aber betriebswirtschaftlich vertretbar. „Der Zeitungsmarkt wird sich eben ausdifferenzieren“, kommentiert er die Krise. 90 Prozent der Regionalblätter sollten sich aus seiner Sicht zusammentun, genau solche Umstrukturierungen habe es auch in der Schifffahrt gegeben – vom Stückgutfrachter zum Containerriesen. Die Grundsätze der Marktwirtschaft – sie sind so einfach.

Derlei Reinigungsprozesse machen natürlich auch vor Springer nicht Halt. Und trotz Quasi-Fusion mit der Berliner Morgenpost schreibt die Welt weiter tiefrote Zahlen. Vielleicht ja auch, weil sie nicht der zweiten Tamm-Doktrin folgt: „Da ich keine Zeit habe, muss ich lang schreiben“, kommentiert der Admiral mit Goethe-Worten seinen Hang zu kurzen Sätzen. Schon wieder so ein Sinnspruch.