In strengster Hut

aus Washington MICHAEL STRECK

Kaum einer weiß von Maher „Mike“ Hawash. Er wurde vor drei Wochen verhaftet. Seither sitzt der 38-jährige US-Bürger und Software-Unternehmer arabischer Herkunft im Bundesstaat Oregon hinter Gittern. Sein Anwalt darf ihn nicht sprechen. Keine Anklage wurde erhoben. Einen Doktoranden der Universität von Idaho erwischte das gleiche Schicksal. Der Mann aus Saudi-Arabien wurde vor Tagesanbruch von FBI-Agenten in Kampfausrüstung wie ein Schwerkrimineller aus seiner Wohnung geschleppt. Seine Frau kennt bis heute nicht den Grund. Meldungen und Namen, die in Zeiten des Krieges untergingen und doch mittlerweile zum Alltag in den USA gehören.

Der Öffentlichkeit weniger unbekannt ist der „Dirty Bomber“ Jose Padilla. Er sitzt seit einem Jahr in Einzelhaft in einem Militärgefängnis in South Carolina, ohne Kontakt zu Anwalt und Außenwelt. Das Justizministerium wirft ihm vor, einen Terroranschlag mit einer radioktiven „schmutzigen Bombe“ in den USA geplant zu haben. Beweise legte es jedoch keine vor.

Recht und Willkür

Nach Angaben der Washington Post befinden sich mindestens 44 US-Staatsbürger unter gleichen Umständen in Haft entweder als so genannnte „unverzichtbare Zeugen“ oder „feindliche Kämpfer“. Dieser Gefangenenstatus kann Amerikanern und Bürgern anderer Staaten – wie den rund 600 Gefangenen auf dem Militärstützpunkt Guantánamo auf Kuba – gleichermaßen verliehen werden. Wer vom US-Präsidenten als solcher bezeichnet wird, kann unbegrenzt und ohne Rechtsbeistand inhaftiert werden – ein Willkürakt und klarer Verstoß gegen die „Bill of Rights“, sagen Rechtsexperten.

Die US-Verfassung spricht eine deutliche Sprache: „Niemand darf der Freiheit ohne vorheriges ordentliches Gerichtsverfahren nach Recht und Gesetzt beraubt werden. Ein Angeklagter hat das Recht auf einen unverzüglichen öffentlichen Prozess und einen Rechtsbeistand zu seiner Verteidigung.“ Diese Grundrechte setzte Präsident George W. Bush mit dem Argument außer Kraft, dass Amerika einen Krieg kämpfe. Offiziell befinden sich die USA jedoch gar nicht im Krieg, den nur der Kongress und nicht der Präsident erklären kann. Doch seit dem 11. September gelten in den USA andere Gesetze, vor allem der „Patriot Act“, ein weit reichendes Antiterrorpaket, das vom Kongress bereits einen Monat nach den Anschlägen auf New York und Washington hastig verabschiedet wurde (siehe Kasten links). Über tausend Männer arabischer Herkunft wurden als mutmaßliche Terroristen interniert, dabei hatten sie meist nur gegen Einreisebestimmungen verstoßen. Groß angelegte Verhörserien in Städten mit hohem Anteil von Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten wurden gestartet und eine unbekannte Zahl muslimischer Einwanderer abgeschoben. Die US-Einwanderungsbehörde verlangt seit Dezember 2002, dass sich Jungen und Männer aus 24 Staaten im Nahen und Mittleren Osten, die älter als 16 Jahre sind, registrieren lassen. Sie werden fotografiert und müssen sich in Interviews detaillierten Fragen über ihr privates, berufliches und religiöses Leben stellen, ohne zu wissen, was mit den gespeicherten Daten geschieht. Ein Ergebnis: Die Zahl der Asylsuchenden ist von vormals rund 100.000 jährlich um 80 Prozent gesunken.

Auch die Aktivitäten ausländischer Studenten werden in einem eigenen Überwachungssystem akribisch erfasst und kleine, nicht gemeldete Veränderungen wie ein Seminarwechsel können bereits zur Ausweisung führen. Immer wieder berichten Universitäten von Fällen, in denen Studenten aus arabischen Staaten, die ihre Semesterferien zu Hause verbrachten, die Wiedereinreise verweigert wird. Nun sollen auch alle dreieinhalb Millionen Truckfahrer des Landes per Fingerabdruck registriert werden, um sicherzustellen, dass Gefahrguttransporte nicht in falsche Hände geraten.

Alle Macht der Zentrale?

Nicht nur der Angriff auf die Freiheit und geschützte Privatsphäre erregt den Unmut von Bürgerrechtlern, sondern auch die massiv ausgeweiteten Machtbefugnisse für die Bundesregierung in Washington. Wann immer Weißes Haus und Kongress versuchen, bundesstaatliche und lokale Zuständigkeiten auszuhebeln, treffen sie in den USA einen besonders wunden Punkt. Wenig ist den Einzelstaaten und Kommunen so heilig wie ihre Unabhängigkeit von der Beeinflussung aus der US-Hauptstadt.

So war es vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis sich im Land – neben den üblichen Verdächtigen, den nationalen Bürgerrechtsgruppen – Widerstand gegen die Bevormundung aus Washington regte. Überall bilden sich lokale „Bill of Rights Defense Committees“. Eine wachsende Zahl von Kommunen verabschiedet Resolutionen, die sich gegen die Antiterrorgesetze zur Wehr setzen und die eigenen Strafverfolgungsbehörden auffordern, sich den Forderungen von Justizministerium und FBI im Rahmen des „Patriot Act“ zu verweigern. Über einhundert US-Städte haben bislang solche Erklärungen veröffentlicht. Hawaii beabsichtigt eine Resolution im Namen des ganzen Bundesstaats.

Eine Stadt wehrt sich

Die kalifornische Stadt Arcata ging noch einen Schritt weiter. Der Ort mit 16.000 Einwohnern – immer schon an vorderster Front, wenn es um Resolutionen gegen Bushs Klimaschutzpolitik und den Irakkrieg ging – verabschiedete als erste Kommune in den USA eine Verordnung, die die Befolgung der im „Patriot Act“ festgelegten Maßnahmen verbietet. Der Beschluss werde selbst von der örtlichen Polizei und Staatsanwaltschaft mitgetragen. Er verlangt von allen Stadtbediensteten, dass sie jede Anfrage im Rahmen der Antiterrorgesetze an den Stadtrat zur Entscheidung weiterleiten müssen. Bei Nichtbefolgung drohen 57 Dollar Strafe. Damit verstößt Arcata selbst gegen die US-Verfassung. Diesen Verstoß habe man jedoch bewusst provoziert, sagt Stadtratsmitglied David Meserve, um die Debatte über den „Patriot Act“ zu forcieren.

Auch vor der Invasion im Irak verabschiedeten viele Kommunen in den USA Antikriegsresolutionen. Sie hatten rein symbolischen Charakter. Der Widerstand gegen die Überwachungswut habe jedoch eine andere Qualität, sagt Nancy Talanian aus Florence in Massachussets, wo sie eine Bürgerrechtsgruppe koordiniert und andere Städte bei der Ausarbeitung von Resolutionen berät. „In der Antiterrorbekämpfung muss die Bundesregierung mit den Kommunen zusammenarbeiten. Sie kann Städte schwer dazu zwingen, Anweisungen zum Beispiel von der Einwanderungsbehörde oder dem FBI zu befolgen. Wir können uns weigern, unsere Polizisten zu Spitzeldiensten einzusetzen.“

Der Widerstand vor Ort lässt auch die von dort stammenden Volksvertreter hellhörig werden. Kongressabgeordnete, die noch vor anderthalb Jahren im Schock der Terroranschläge den „Patriot Act“ abnickten, fürchten nun um die Gunst ihrer Wählerschaft. So liegt mittlerweile im Abgeordnetenhaus ein Gesetzentwurf, der die Überwachung von Bibliotheksnutzern und Buchkäufern wieder rückgängig machen will.

Unbeirrt davon arbeitet das US-Justizministerium an der weiteren Verschärfung der bestehenden Antiterror-Regelungen, dem so genannten „Patriot Act II“. Kein einziger Kongressabgeordneter, selbst die Mitglieder der Justizausschüsse, haben den Entwurf bislang gesehen. Einige Vorstellungen daraus sind jedoch bekannt geworden (siehe Kasten rechts). Selbst Republikaner zeigten sich über die Tragweite erbost. Der konservative Abgeordnete Ron Paul aus Texas ist „alarmiert“ und warnt: „Das neue Gesetz gefährdet die Freiheiten jedes US-Bürgers und zerstört die konstitutionellen Grundlagen unserer Republik anstatt den Terrorismus effektiv zu bekämpfen.“